Der Bilderwächter (German Edition)
eines Drachenkopfs. » Ich habe sie hierher gebeten, damit Sie nicht eigens hinübergehen müssen. Wenn Sie mich dann entschuldigen.«
Sie verließ das Wohnzimmer, ohne eine Antwort abzuwarten.
Emilia folgte ihr mit kleinen, schnellen Schritten.
*
Marten fand keinen Schlaf. Er lag auf dem Sofa seines Arbeitszimmers und war einfach nur glücklich. Keine drei Meter entfernt und nur durch eine dünne Wand von ihm getrennt, schlief Ilka, das Mädchen, das er mehr liebte als alles auf der Welt. Längst hatte er aufgehört, sich zu fragen, was sie zu ihm geführt hatte.
Vielleicht war es das Schicksal gewesen.
Er wollte gern daran glauben.
Träge lauschte er dem Wispern der Schatten, die ihm alles versprachen, was er sich nur wünschte.
Bald würde der Morgen kommen. Ob Ilka Brötchen mochte? Croissants? Oder lieber Brot? Er würde die ganze Bäckerei leer kaufen.
Es hielt ihn nicht mehr auf dem Sofa. Er musste nachschauen, ob er sich das nicht alles bloß eingebildet hatte. Musste einen kurzen Blick auf Ilka werfen.
Sich vergewissern, dass sie wirklich in seinem Bett lag und schlief.
Er hatte die Schlafzimmertür nicht zugemacht, deshalb brauchte er sie nur ein Stück aufzuschieben. Das schwache Licht der kleinen Tischlampe auf der Kommode im Flur reichte nicht weit. Doch er konnte Ilka erkennen. Sie hatte sich ganz unter der Bettdecke verkrochen. Einzig ihr Kopf schaute hervor.
Ihr wundervolles Haar hatte sich auf dem Kissen aufgefächert.
Marten hatte solche Lust, es anzufassen und langsam durch die Finger gleiten zu lassen. Er wusste, wie es sich anfühlen würde. Seit er auf der Welt war, hatte jeder Schritt ihn näher zu diesem Mädchen geführt.
» Ich liebe dich«, flüsterte er und kehrte widerstrebend zum Sofa zurück.
*
» Ich hab nur den Wagen gesehen«, sagte Kasper Morgenroth. » Er stand am Tor, direkt neben dem von Herrn Uhland. Als ich das nächste Mal hingeguckt hab, war er weg. Ich kann also nichts zu der … Angelegenheit sagen.«
Er versuchte offenbar, sich von dem Schrecklichen zu distanzieren. Die unförmige wattierte Weste, die er zu Jeans und Pullover trug, wirkte denn auch ein bisschen wie eine Rüstung. Einzig sein Zögern verriet, wie nah ihm der Tod Thorsten Uhlands in Wirklichkeit ging.
Mit einem Nicken gab Bert zu verstehen, dass er Birger die Gesprächsführung überließ.
» Sie haben nicht zufällig auf die Uhr geschaut?«, fragte Birger.
Kasper Morgenroth schüttelte mürrisch den Kopf. » Ich richte mir im Keller eine kleine Räucherkammer ein. Dazu ist einiges an Vorarbeiten nötig, die mich vollauf beschäftigen, auch ohne dass ich Buch führe über das Kommen und Gehen von Leuten. Gestern hab ich den ganzen Abend Wände gestrichen. Nicht mal zum Essen hab ich eine Pause eingelegt.«
Bert entdeckte hartnäckige weiße Farbreste am Hals des Mannes und in seinem dunklen Haar.
» Stimmt«, bestätigte Dora Morgenroth. » Ich hab ihm bloß ein paar Käsebrote gebracht, damit er überhaupt was in den Magen kriegte. Wenn er mit so einem Projekt beschäftigt ist, hat er für nichts anderes Augen.«
» Und Sie?«, fragte Birger. » Haben Sie beobachtet, wann Ilka Helmbach angekommen und wieder weggefahren ist?«
» Leider nicht.« Dora Morgenroth machte ein betrübtes Gesicht. » Ich hatte mir für gestern die Vorratskammer vorgenommen. Ab und zu überprüfe ich das Haltbarkeitsdatum der Vorräte, und bei der Gelegenheit mach ich dann immer gleich gründlich sauber. Damit war ich mehrere Stunden beschäftigt.«
Vier Menschen in unmittelbarer Nähe, und niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Es gab vorerst keinen Grund, an den Aussagen der Morgenroths und ihrer Arbeitgeberinnen zu zweifeln.
Allerdings besaß streng genommen keiner von ihnen ein Alibi.
Bert schaute Birger und Rick fragend an und beide nickten ihm zu. Es war Zeit, sich zu verabschieden. Vielleicht konnten sie sich noch für den kläglichen Rest der Nacht aufs Ohr legen. Und vielleicht würden sie tatsächlich ein, zwei Stunden Schlaf finden.
Als Ilka wach wurde, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Graues Licht sickerte durch das Fenster in ein Zimmer, das ihr nicht vertraut war. Dann erinnerte sie sich, und die Last, die sie während des Schlafens nicht gespürt hatte, senkte sich wieder auf sie herab.
Sie setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Die Klamotten, die sie in der Nacht achtlos auf den Korbsessel neben dem Bett geworfen hatte, waren ordentlich
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