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Der Bilderwächter (German Edition)

Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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nichts. Nirgends waren Frühstücksreste zu sehen. Es war neun Uhr. Wochenende. Der Rest der Familie schlief offenbar noch.
    Mike erzählte Tante Marei, was er wusste, und sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen. Ab und zu tupfte sie sich mit einem Taschentuch die Augen.
    » Das arme Mädchen«, sagte sie schließlich. » Das arme, arme Mädchen. Hat sie nicht schon genug gelitten?«
    » Wohin würde sie sich in einer solchen Situation flüchten?«, fragte Mike. » An wen würde sie sich wenden?«
    » An ihre Mutter«, kam ohne Zögern die Antwort.
    Es fiel Mike wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Ilka hatte eine so starke innere Verbindung zu ihrer Mutter, dass sie jeden Abend aus dem Fenster schaute und ihr in Gedanken eine gute Nacht wünschte.
    Schritte näherten sich, und Onkel Knut erschien im Türrahmen, ungekämmt, das Gesicht noch ganz verschlafen.
    » Dachte ich mir doch, dass ich Stimmen gehört habe.« Er drückte zur Begrüßung Mikes Schulter und setzte sich dann neben ihn. » Bringst du Neuigkeiten?«
    Mike schüttelte den Kopf. » Aber wir hatten gerade eine Idee, wo Ilka sein könnte.«
    Fragend schaute Onkel Knut seine Frau an.
    » Vielleicht ist sie zu Anne gefahren«, sagte Tante Marei. » Was meinst du?«
    Onkel Knut nickte bedächtig. » Habt ihr schon die Heimleiterin angerufen?«
    » Ich fahr lieber hin.« Mike stand auf. Er hatte seinen Kaffee nicht angerührt. » Sollte Ilka etwas von dem Anruf mitbekommen, läuft sie vielleicht wieder weg. Außerdem bin ich froh, wenn ich was tun kann. Das Rumsitzen macht mich verrückt.«
    » Möchtest du, dass ich dich begleite?« Onkel Knut zeigte nach oben. » Ich zieh mir schnell was an und …«
    » Nett von Ihnen, aber das ist nicht nötig. Sie sollten hier sein, falls Ilka sich meldet.«
    » Und falls der Telefonterror wieder losgeht«, sagte Tante Marei.
    Als hätte sie damit das Stichwort gegeben, fing das Telefon an zu klingeln. Onkel Knut zuckte zusammen, nahm das Gespräch an – und drückte es enttäuscht wieder weg.
    » Nur wieder einer von den Reportern«, sagte er. » Aber die Leitung muss doch frei bleiben für Ilka.« In seiner Stimme mischte sich Wut mit Angst.
    Und Hoffnungslosigkeit.
    » Was geht nur in dem Mädchen vor?«, fragte er.
    » Vielleicht versteht sie es nicht einmal selbst«, sagte Tante Marei.
    Die Stimmung sog sich mit Traurigkeit voll.
    Mike brach auf.
    Er rief Luke an und bat ihn, in Birkenweiler Wache zu halten für den Fall, dass Ilka nach Hause kommen sollte. Luke besaß seit Kurzem einen Schlüssel zum Haus, was sich jetzt als äußerst praktisch erwies.
    Luke versprach, sofort loszufahren.
    Wenig später war Mike auf der Autobahn. Er holte aus dem Kangoo heraus, was in ihm steckte, blieb konsequent auf der linken Spur und drängte die Schleicher, die ihm im Weg waren, rücksichtslos beiseite.
    Er starrte so angestrengt auf die Fahrbahn, dass ihm die Augen tränten, und er stellte die Musik so laut, dass sie seinen Schmerz übertönte.
    Wenn Ilka etwas zustieß, dann war sein Leben zu Ende.
    » Warum?«, fragte er, während er eine Schnarchnase von Sonntagsfahrer mit Lichthupe von der Fahrbahn fegte und mit dröhnendem Motor, das Gaspedal bis zum Anschlag durchgedrückt, an ihm vorbeirauschte. » Warum, Ilka?«
    Anscheinend war ihre Panik größer gewesen als ihr Vertrauen zu ihm. Wieso sonst war sie dermaßen kopflos aus dem Haus gestürzt?
    Immer wieder hatte er versucht, sie zu verstehen, und immer wieder hatte sie ihm die Vergeblichkeit vor Augen geführt.
    Dennoch hatte er nicht resigniert.
    Irgendwann, hatte er gehofft, würde er begreifen.
    Irgendwann.
    Und jetzt war es vielleicht zu spät.
    *
    Mehr als einmal war Ilka beim Erzählen die Stimme weggeblieben, und Marten hatte an sich halten müssen, um nicht aufzuspringen und sie in die Arme zu nehmen. Denn damit hätte er sie todsicher vertrieben.
    Er war überwältigt von dem Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte.
    Sie war nicht bei Mike.
    Sie war zu ihm gekommen.
    Er hatte sie nicht ein einziges Mal unterbrochen, hatte nur still zugehört, und als Tränen geflossen waren, hatte er ihr ein Päckchen Taschentücher gereicht.
    Ilka gehörte zu den wenigen Menschen, die vom Weinen nicht hässlich wurden. Ihre Augenlider waren gerötet und geschwollen, ebenso wie die Nase, durch die sie kaum Luft bekam. Doch das verstärkte bloß die Zärtlichkeit, die er für sie empfand.
    Als sie alles gesagt hatte, was sie ihm sagen wollte, hob sie den Kopf und sah ihm

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