Der Bilderwächter (German Edition)
Mitgefühl in ihrem Lächeln. Mike wusste, dass sie Ilka mochte, dass sie es schätzte, wie sie sich um ihre Mutter kümmerte. » Kommen Sie. Ich bringe Sie hin.«
Mike erinnerte sich an den langen Flur. An die angenehme Atmosphäre, die einem das Gefühl gab, nicht in einem Heim für psychisch Kranke, sondern in einem Hotel zu sein. An die farbenfrohen Bilder und die gesunden Pflanzen hier und da.
Heute roch es nach Essen.
Eintopf, schätzte Mike. Er merkte, dass er hungrig war.
Frau Hubschmidt klopfte an und schob sacht die Tür auf. » Frau Helmbach? Hier ist jemand, der Sie besuchen möchte.«
Ilkas Mutter saß in einem Sessel am Fenster und schaute in den Garten hinaus, der wie ein Park war, weitläufig und gepflegt. Krähen stolzierten über den Schnee, der sich von den Rändern her zurückzog und anfing, weiße Inseln auf dem Grün und Braun der wieder sichtbar werdenden Erde zu bilden.
Frau Helmbach war allein.
Die Enttäuschung traf Mike mit voller Wucht, obwohl er doch darauf vorbereitet war. Die ganze Fahrt umsonst.
Außer, er könnte in Erfahrung bringen, ob Ilka hier gewesen war.
» Kommen Sie ohne mich zurecht?« fragte Frau Hubschmidt leise.
Er nickte und sie zog sich zurück. Die Tür ließ sie einen Spaltbreit auf, wie um ihm zu zeigen, dass er jederzeit nach ihr rufen könne.
Mike stand unschlüssig in der Mitte des behaglichen Zimmers und sah auf die Frau in dem Sessel hinunter, die seine Gegenwart nicht zur Kenntnis zu nehmen schien. Damals war es genauso gewesen. Sie hatte auf seine und Jettes Anwesenheit überhaupt nicht reagiert.
» Hallo«, sagte er, und seine Stimme war wie ein Fremdkörper in diesem Raum.
Ihm gingen all die Worte durch den Kopf, die er während der Fahrt ausprobiert hatte, und er merkte, dass keines in die Ruhe passte, die ihn hier umgab. Es war, als hätte er die Welt mit ihrem Lärm und ihrer Hektik draußen zurückgelassen, um sich in einem anderen Universum wiederzufinden, in dem nicht zählte, was man sah und hörte, sondern nur, was man fühlte.
Vorsichtig zog er sich einen Stuhl heran.
» Ich war schon einmal hier«, sagte er leise. » Vielleicht erinnern Sie sich.«
Frau Helmbach blickte weiter aus dem Fenster. Ihre Hände lagen offen auf ihrem Schoß.
Mike versuchte, eine Ähnlichkeit mit Ilka zu entdecken. Auch Frau Helmbach war schön. Ihre Schönheit war jedoch überlagert von einer gewissen Mattigkeit, die von Medikamenten herrühren konnte oder von einer Trauer, die tief in ihr Inneres reichte.
» Ich bin Mike, der Freund Ihrer Tochter.« Er streifte die Jacke ab und griff in die Tasche. » Ich habe Ihnen Schokolade mitgebracht. Zartbitter. Ilka sagt, die mögen Sie gern.«
Er hielt ihr die Schokolade hin, doch sie griff nicht danach. Es war, als hätte er gar nichts zu ihr gesagt. Nicht einmal ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert.
Die Krähen erhoben sich krächzend in den bedeckten Himmel, und Mike verspürte das Bedürfnis, aufzuspringen und hinauszulaufen. Er legte ihr die Schokolade behutsam auf den Schoß.
Keine Reaktion.
Er schaute sich um. Nirgends war auch nur der Hauch eines Anzeichens dafür zu erkennen, dass Ilka hier gewesen war.
Wie schrecklich, dachte er, so in sich selbst gefangen zu sein.
Einem Impuls folgend, nahm er die Schokolade, riss das Papier auf und brach einen Riegel ab. Frau Helmbach wandte langsam den Kopf und sah ihn an.
Es kam so unerwartet, dass er erschrak.
Sie streckte die Hand aus. Er gab ihr den Riegel und sie führte ihn zum Mund und biss hinein.
» Ist Ilka hier gewesen?«, fragte er mit neu erwachter Hoffnung, dass sie vielleicht doch antworten würde oder ihm wenigstens ein Zeichen gab.
Als sie den Riegel aufgegessen hatte, ließ sie die Hände wieder sinken und schloss die Augen.
Mike legte den Rest der Schokolade auf den Tisch. Er blieb noch eine Weile bei Frau Helmbach sitzen und begriff jetzt, warum Ilka so war, wie sie war, wenn sie von einem Besuch bei ihrer Mutter nach Hause kam. So in sich gekehrt und unberührbar.
Er stand auf und zog seine Jacke an. Frau Helmbach öffnete die Augen. Sie sah in den Garten hinaus, und Mike meinte, ein kleines Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Doch es galt nicht ihm. Möglicherweise war es eine unwillkürliche Reaktion und galt nichts und niemandem.
» Auf Wiedersehen, Frau Helmbach«, sagte er und ging rückwärts zur Tür. » Vielleicht darf ich Ilka bei ihrem nächsten Besuch begleiten. Das würde mich freuen.«
Es war ein Versprechen. Ein
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