Der Bilderwächter (German Edition)
werden, verstehst du? Doch das geschieht so behutsam wie möglich.«
» Während das brutale Einstechen auf ein Opfer, das sich nicht wehren kann, eine Art Eskalation der Gewalt bedeutet«, vervollständigte Bert nachdenklich. » Mit Birger hast du anscheinend noch nicht darüber gesprochen?«
» Er hat mich noch nicht danach gefragt.«
» Prinzipienreiter«, spottete Bert.
» Moralapostel«, gab sie ungerührt zurück.
Er war beim Telefonieren den Hügel hinaufgeschlendert und stand jetzt dort oben und sah auf das prächtige alte Anwesen hinunter. Die Sonne hatte sich durch die Wolken gekämpft und ließ die Fensterscheiben wie reines Silber blinken und blitzen.
Das Küchenfenster stand trotz der Kälte offen. Dahinter werkelte Dora Morgenroth am Mittagessen. Gerade zwölf vorbei. Die alten Damen wetzten bestimmt schon die Messer.
» Worüber lachst du?«, fragte Isa.
» Ach, es würde zu lange dauern, dir das zu erklären«, sagte er.
» Können wir doch nachholen.«
» Machen wir. Bei einem guten Essen?«
» Auf die Art kriegst du mal was Ordentliches in den Magen.«
» Wieso gehst du davon aus, dass ich nicht kochen kann?«
» Kannst du?«
» Wie ein junger Gott.«
Sie gluckste vor Lachen und beendete das Gespräch. Bert kehrte in Rubens Haus zurück und machte sich wieder an die Arbeit.
*
Ilka sah sich um.
Wände. Wände.
Wie damals.
Das Einzige, was sie daran hinderte, aus der Wohnung zu flüchten, war die Gewissheit, dass sie nicht eingesperrt war.
Sie hielt das hier freiwillig aus.
Es war ihr gelungen, längere Zeit nicht an Thorsten zu denken, doch jetzt besetzte er wieder ihr Gehirn.
Hatte sie ihn getötet?
Was, wenn er noch gelebt hatte, als sie weggelaufen war?
Dann war sie trotzdem eine Mörderin.
Sie hätte ihn vielleicht retten können. Durch einen kurzen Anruf. 112.
Ilka ging in die Küche und setzte Teewasser auf. Während sie darauf wartete, dass es kochte, gab sie den Pflanzen Wasser. Marten schien sie zu vernachlässigen, denn sie sahen nicht gesund aus. Sie zupfte die braunen und gelben Blätter ab und warf sie in den Müll. Dann nahm sie einen Becher aus dem Schrank, gab einen Teebeutel hinein und übergoss ihn mit dampfendem Wasser.
Nach Rubens Tod hatte Lara ihr eine Zeit lang Tabletten verschrieben, die sie am Leben hielten. Die sie verkraften ließen, was Ruben ihr angetan hatte.
Ob sie Lara anrufen sollte?
Oder Josefine?
Mit dem Tee wanderte sie durch die Wohnung und versuchte, nicht auf die Wände zu blicken, die so kompakt waren und so kalt.
Ich bin nicht eingesperrt …
Martens Maltisch zog sie magisch an. Am Tee nippend, strich sie mit den Fingerkuppen über Farbtuben, Palette, Pinsel.
Nirgendwo hatte Marten Bilder aufgehängt. Nirgendwo entdeckte sie welche, die er selbst gemalt hatte. Aber irgendwo mussten sie doch untergebracht sein.
Der Tee schmeckte ihr nicht, aber er war heiß und tat ihr gut.
Bestimmt war Mike außer sich vor Sorge um sie.
» Bestimmt ist Mike außer sich vor Sorge um mich«, sagte sie laut, um den Gedanken zu prüfen. Doch sie konnte keine Beziehung zu ihm herstellen.
Es waren bloß Worte.
Erschöpft sank sie aufs Sofa. Schaute an den Wänden vorbei zum Fenster. Es war nicht vergittert. Sie brauchte sich nicht zu fürchten.
» Hab keine Angst«, flüsterte sie.
Doch auch das waren nur Worte.
In einem ungemütlichen Rasthof aß Mike ein Sandwich und telefonierte mit Luke.
» Nein«, sagte Luke. » Ilka hat sich nicht gemeldet.« Er zögerte. » Übrigens ist hier der Teufel los. Presseleute belagern das Haus und das Telefon läuft heiß.«
» Das war zu erwarten. Geh trotzdem ran, wenn es klingelt. Es könnte Ilka sein.«
» Klar.«
» Danke, Luke.«
» Du brauchst mir nicht zu danken. Ich wollte, ich könnte mehr tun.«
Ich auch, dachte Mike. Ich wünschte, wir alle könnten mehr tun. Aber was? Was war das Richtige?
Er wählte Jettes Nummer.
Sie meldete sich atemlos. Im Hintergrund hörte er Stimmen und Geräusche.
» Wo seid ihr?«
» Auf einer Benefiz-Veranstaltung«, erklärte Jette. » Da werden Werke von Studenten der Kunstakademie versteigert. Es ist auch ein Bild von Ilka dabei, Mike. Ein ziemlich erschreckendes«, fügte sie bedrückt hinzu. » Vielleicht ging es ihr hier in Düsseldorf nicht so gut, wie wir dachten.«
» Das hätte ich doch gemerkt.«
» Bist du sicher, Mike? Du weißt, wie sehr Ilka sich Normalität gewünscht hat. Kann es nicht sein, dass …«
» Du glaubst, sie hat uns bloß
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