Der Bilderwächter (German Edition)
länger an.«
» Oh doch! Du wirst dir anhören, was ich zu sagen habe. Das ist das Mindeste, was ich von dir verlangen kann.«
» Bitte. Aber hör auf zu schreien.«
Sie bebte vor Erregung am ganzen Körper und zeigte mit dem Finger auf ihn.
» Es wurde darüber gemunkelt, bloß ich dummes Schaf wollte es nicht glauben. Und als du … als wir … da dachte ich, sie haben alle unrecht. Aber jetzt hast du mir den Beweis geliefert.«
Ich wollte weggehen. Es war mir unangenehm, den Schmerz des Mädchens zu belauschen und zu beobachten, wie sie die Fassung verlor.
Merle hielt mich fest.
» Du hast ihr Bild gekauft!«
Merles Finger krallten sich in meinen Arm.
» Sei still, Susan!«
» Du hast ein Vermögen dafür ausgegeben, nur damit es kein anderer bekommt. Ein Vermögen, das du überhaupt nicht besitzt.«
» Du sollst still sein!«
» Und das alles für ein Bild von unserer ach so begabten Überfliegerin. Kein Wunder, bei dem Bruder, was, Marten?«
» Halt endlich den Mund!«
» Dabei will sie doch gar nichts von dir. Hält dich auf drei Meter Abstand und …«
Er holte aus und schlug ihr ins Gesicht.
Sie hielt sich die Wange und starrte ihn ungläubig an. Wich vor ihm zurück.
Mit ausgestreckten Armen ging er auf sie zu.
» Susan, das wollte ich nicht. Ehrlich, Susan. Ich wollte das nicht.«
» Lass mich in Frieden«, sagte sie mit einer völlig veränderten Stimme. » Und fass mich nie wieder an! Hörst du? Nie wieder!«
Er sah ihr nach und merkte gar nicht, dass wir ihn mit Blicken durchbohrten.
*
Irgendwann hatte Mike die Privatnummer von Lara Engler gespeichert, der Frau, die Ilkas Therapeutin war und mit der er nach einem heftigen Zusammenstoß nichts mehr hatte zu tun haben wollte. Er hatte ihr damals gedroht, sie umzubringen, falls Ilka durch ihre Schuld etwas passieren sollte.
Er hatte die Drohung nicht im Eifer des Gefechts ausgestoßen und konnte sich nicht damit herausreden, dass sie nichts weiter als ein blöder Spruch gewesen war.
Damals hatte er es wirklich so gemeint.
Konnte er diese Frau jetzt anrufen und nach Ilka fragen? Würde sie ihn überhaupt anhören?
Während der ganzen Fahrt schon dachte er nach, und er fand die Idee, die ihm schließlich gekommen war, mehr als schlüssig: War es nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Mensch mit psychischen Problemen sich im Notfall an seine Therapeutin wandte?
Voller Angst und voller Hoffnung wählte er ihre Nummer.
» Engler.«
Ihre Stimme klang weder herzlich noch abweisend. Sie klang neutral. Dennoch schlug ihm das Herz bis zum Hals, und er versuchte verzweifelt, Spucke zu sammeln, weil ihm der Mund mit einem Mal trocken geworden war.
» Hallo?«
» Hallo, Frau Engler.« Fast blieb ihm die Zunge am Gaumen kleben. » Mike Hendriks hier. Bitte legen Sie nicht auf.«
Er meinte zu hören, wie sie in ihrem Gedächtnis nach seinem Namen suchte, meinte sie zögern zu hören, als sie ihn endlich einordnen konnte.
» Das überrascht mich«, sagte sie kühl. » Was kann ich für Sie tun?«
» Ist Ilka bei Ihnen?«
» Was ist mit ihr?« Ihre Stimme klang augenblicklich alarmiert.
» Sie … sie ist verschwunden. Nach einem … schlimmen Erlebnis. Hat sie sich bei Ihnen gemeldet?«
Lara Engler zögerte.
» Bitte, Frau Engler!«
» Sie wissen …«
» Dass Sie an Ihre Schweigepflicht gebunden sind, ja. Ich will Ihnen ja auch keine Informationen entlocken. Sagen Sie mir nur, ob Ilka bei Ihnen ist. Oder war. Damit wir uns keine Sorgen mehr machen müssen.«
» Ich habe Ilka schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
Der letzte Hoffnungsschimmer schwand.
Mike hatte das Bedürfnis zu schreien.
» Danke«, sagte er mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung und drückte das Gespräch weg, bevor Lara nachfragen konnte. Er hätte keinen weiteren Ton rausgebracht.
*
Eigentlich hatte sie ein wenig ruhen wollen, doch ihr Kopf sperrte sich dagegen. Ihre Gedanken drehten sich wie ein Karussell immer weiter herum, herum und herum.
Hortense hasste Karussells.
Sie horchte auf die Geräusche im Haus. Fühlte sich ausgeschlossen.
Allein.
Emilia hatte beim Mittagessen kaum geredet. Ihre ungewöhnliche Schweigsamkeit hatte sogar Frau Morgenroth irritiert. » Fühlen Sie sich nicht wohl?«, hatte sie gefragt. » Soll ich Ihnen etwas anderes bringen?«
Denn ihr Essen hatte Emilia auch nicht angerührt.
So sehr das nervtötende Plappern ihrer Schwester Hortense oft zuwider war, so schlecht ertrug sie ihr Schweigen. Sie fühlte sich davon in
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