Der Bilderwächter (German Edition)
für ihn, und fast bereute er schon, jemals daran gedacht zu haben, Arbeiten von Ruben Helmbach beiseitezuschaffen.
Den Koffer hatte er für fünf Euro über eBay ersteigert. Er hatte gedacht, dass sich mit der seriösen Wirkung auch beruflicher Erfolg einstellen würde. Und nun hatte er genau diesen Koffer für einen Coup genutzt, der ihn reich machen – oder in den Knast bringen würde.
Im Stop and Go auf der A 4 blieb von Rodenkirchen an ein Polizeiwagen neben ihm auf der linken Spur. Das Herz sackte ihm in die Hose, und er vermied es angestrengt, hinüber zu blicken, tat ein bisschen gelangweilt und so, als sei er in Gedanken versunken.
Erst als er einen Parkplatz gefunden hatte und aus dem Wagen gestiegen war, fühlte er sich halbwegs sicher.
Er wohnte in einem Mietshaus in der Oranienstraße, hatte Köln Kalk bisher nicht verlassen. Er war hier geboren und aufgewachsen und wäre wohl auch den Rest seines Lebens in diesem Stadtteil hängen geblieben, wenn das Schicksal ihm nicht diese einmalige Gelegenheit geboten hätte.
Die Wohnung lag im vierten Stock und besaß einen Balkon, von dem aus man auf das Wartehäuschen einer Bushaltestelle schaute. Der einstmals gelbe Anstrich hatte sich unter dem Schmutz der Jahre in einen undefinierbaren grüngrauen Schimmelton verwandelt. Die Leute, die hier wohnten, kannte Bodo zum Teil nicht mal vom Sehen. Im Treppenhaus begegnete er ständig fremden Menschen.
Heute kam ihm niemand entgegen. Die Kinder zogen draußen ihre Schlitten über den so seltenen Schnee, die Erwachsenen ließen sich nicht blicken. Gut so.
Er versteckte den Koffer in dem Wandschrank mit den schiefen Türen, schob ihn weit hinter den Stapel der ausrangierten Klamotten, die er demnächst über eBay verscherbeln wollte. Dann erst streifte er Jacke und Schuhe ab, holte sich was zu trinken, ließ sich auf das Sofa fallen und machte den Fernseher an.
Er hatte es geschafft!
Mit einem glückseligen Lächeln zappte er durch die Programme und blieb bei einem Dokumentarfilm über Nilpferde hängen. Vielleicht würde er irgendwann große Reisen machen. Selbst Nilpferde erleben. Den Grand Canyon sehen. Die Freiheitsstatue. Die Niagara Falls. Den Zuckerhut.
Vielleicht würde er sogar auswandern.
Wenn alles so lief, wie er es erwartete, würde die Welt bald ihm gehören.
Merle hatte sich seit den Anrufen von Mike und Jette kaum konzentrieren können.
Hoffentlich passierte ihnen nichts.
Die Schreibtischarbeit war ein notwendiges Übel, doch heute stürzte Merle sich förmlich darauf, weil sie eine willkommene Ablenkung war. Frau Donkas hatte sich nach ihren Außenterminen abgemeldet, um ungestört zu Hause zu arbeiten. Das war ihr Privileg als Heimleiterin und Merle war nicht traurig darüber. Sie arbeitete gern allein.
Vor den Fenstern wirbelte der Schnee. Das Katzenhaus und die Hundezwinger sahen mit den weißen Wattedächern aus wie von Walt Disney gezeichnet. Verwehungen hatten den Schnee gegen die Wände und Türen geworfen und von den Fensterscheiben nur noch das obere Drittel frei gelassen.
Merle zog Jacke und Handschuhe an, stülpte sich die Mütze über den Kopf und schlang sich den Schal um den Hals. Dann ging sie hinaus, nahm den Schieber, der neben dem Eingang lehnte, und fing an, den Zugang zum Katzenhaus vom Schnee zu befreien.
Es war ungewöhnlich still. Das schienen auch die Tiere zu bemerken. Die Hunde saßen friedlich in ihren Zwingern und sahen dem Schneefall zu, während die Katzen träge in den Höhlen und Nestern ihres eigenen Freigeheges dösten.
Merle genoss die körperliche Anstrengung nach den Stunden am Schreibtisch. Ihr wurde warm und sie steckte die Mütze in die Tasche und lockerte den Schal. Der Schnee war genau richtig, nicht zu nass, nicht zu schwer. Er würde wohl eine Weile liegen bleiben.
Das bedeutete Hausarrest für Claudio, der Schnee und kalte Füße hasste.
Beim Gedanken an ihn stieg wieder die Wut in Merle hoch. Da tyrannisierte dieser Kerl sie mit seiner Eifersucht und hatte doch selbst eine Verlobte in Sizilien, von der er sich nicht trennen konnte, weil die Umstände angeblich immer dagegen sprachen.
» Umstände«, zischte sie verächtlich. » So kann man das auch nennen.«
Jette hatte schon einmal vermutet, dass diese Verlobte eine Erfindung Claudios sein könnte, um Merle auf Distanz zu halten, und Merle hatte sich gefragt, was für sie schlimmer wäre – eine wirkliche Verlobte, oder ein Claudio, der solche Winkelzüge ersann, bloß um Merle nicht
Weitere Kostenlose Bücher