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Der Bilderwächter (German Edition)

Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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brauchte meine ganze Konzentration, um heil über die vollgestopfte Dürener Straße, den nicht minder vollen Lindenthalgürtel und den nahezu komplett dichten Sülzgürtel zu kommen.
    Auf der Luxemburger Straße klemmte ich mich hinter einen Streuwagen. Die Salzkörner prasselten gegen den Lack meines schönen Autos, doch das war mir egal.
    » Ein Auto ist ein Gebrauchsgegenstand«, predigte meine Großmutter immer, und das sah man ihrem Charade auch an. Sie hatte einen so eigenwilligen Fahrstil, dass es an ein Wunder grenzte, wie souverän sie ihre Fahrten überlebte. » Es ist wie bei Dorian Gray«, sagte sie. » Statt meiner altert mein Auto. Ich finde, das ist ein äußerst vernünftiges Übereinkommen.«
    Es war tatsächlich so. Während ihr Charade im Rekordtempo Schrammen und Dellen sammelte, schien meine Großmutter nichts von ihrer Energie zu verlieren. Sie besuchte weiterhin ihre geliebten Kurse für Standardtänze, machte Yoga, lernte Russisch und fand daneben noch Zeit, um zu malen.
    In Hürth fiel mir eine Gruppe unterschiedlichster Menschen mit Hunden auf, anscheinend Besucher einer Hundeschule. Etwa zwanzig Tiere trabten ohne Leine und voller Begeisterung neben ihren Herrchen und Frauchen durch das Vorweihnachtsgewühl.
    Ich fragte mich, ob einer dieser Hunde wohl aus Merles Tierheim stammte. Ich wünschte es mir von ganzem Herzen.
    Mein Navi zeigte noch zehn Kilometer an und es wollte nicht aufhören zu schneien. Weiter vorn ertönte ein Hupkonzert.
    Schnee bringt die Menschen im Rheinland leicht durcheinander. Schon beim Anblick der ersten Schneeflocken geraten manche in Panik. Erst nach ein, zwei Tagen kehrt die alte Gelassenheit zurück.
    Davon waren wir noch weit entfernt.
    In einer endlosen, trägen Schlange schoben sich die Wagen voran. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, um mich mal wieder bei meiner Großmutter zu melden. Ich wählte ihre Nummer, aber sie nahm das Gespräch nicht an.
    Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich plötzlich vollkommen allein.
    *
    Bodo Breitner hatte beschlossen, heute überpünktlich Schluss zu machen. Keine Sekunde länger hielt er es an diesem Schreibtisch aus mit dem Wissen um das, was sich in seinem Koffer befand. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen, ständig in der Furcht, sein Arbeitgeber könnte unerwartet hier auftauchen und ihm auf die Schliche kommen.
    Immer wieder spähte er aus dem Fenster, darauf gefasst, sich Auge in Auge einer der Schwestern gegenüberzusehen, die von außen hereinstarrte. Oder beiden. Sie gehörten ja zusammen wie Teufel und Pferdefuß.
    Als die Kirchturmuhr im Ort vier schlug, nahm er deshalb seine Jacke vom Haken, zog sich an und griff nach dem Koffer.
    Er wog schwer in seiner Hand. Der Ledergriff schien sich ihm in die Haut zu brennen.
    Behalt bloß die Nerven, dachte Bodo. Bleib cool.
    Er bemühte sich, möglichst unauffällig zu wirken. Trat ohne Hast aus dem Haus. Stellte den Koffer zu seinen Füßen ab. Blickte sich gemächlich um. Verschloss sorgfältig die Tür und streifte in aller Gemütsruhe die Handschuhe über. Erst dann hob er den Koffer auf und trat in den Schnee hinaus.
    Wie jemand, der nach getaner Arbeit nach Hause fuhr.
    Seine Bewegungsabläufe waren routiniert wie die eines Roboters. Gut überlegt und präzise ausgeführt.
    Als hätte ich mich selbst hypnotisiert, dachte er.
    Alles war gut, wenn nicht auf den letzten Metern noch etwas Unvorhergesehenes geschah.
    Langsam gehen, ermahnte er sich. Nicht zu den Fenstern schauen. Nicht mal den Anschein von Eile erwecken oder von Unsicherheit.
    Seine Schuhe versanken im Schnee.
    Macht nichts. Weiter. Gleich hast du’s geschafft, Junge.
    Kurz erfasste ihn Panik, als er sah, dass sein Wagen zugeschneit war.
    Er musste kostbare Minuten damit vergeuden, ihn frei zu räumen. Bekam kaum noch Luft. Sein Herz lief Amok.
    Die Fahrt war nervenaufreibend. Ein Unfall, und er wäre aufgeflogen. Er brauchte doch nur schwer verletzt zu sein und der Koffer, aus dem Wagen geschleudert, offen auf der Straße zu liegen …
    Er wagte nicht, die vielen gefährlichen Möglichkeiten zu Ende zu denken.
    Erst wenn sich die Gouachen im Safe befanden, war er in Sicherheit.
    Er fuhr so vorsichtig wie nie zuvor in seinem Leben, damit er bloß nicht mit den Bullen in Berührung kam. Jede noch so kleine Unachtsamkeit konnte ihn Kopf und Kragen kosten.
    Er war kein Krimineller. Und er war nicht hartgesotten. Ihm fehlten die Übung, die Kaltschnäuzigkeit und die Gewissenlosigkeit. Das hier war nichts

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