Der Bilderwächter (German Edition)
interessierte Partnerin wie Malina geraten war. Er wunderte sich noch immer darüber, dass diese seltsame Beziehung zu funktionieren schien.
» Er war … charismatisch. Die Art Mensch, nach dem sich jeder umdreht. Der einen Raum betritt und ihn ausfüllt.«
» Verstehe.«
» Er war enorm selbstbewusst. Man merkte ihm seinen sensationellen Erfolg an.«
» Aber was hat zwei betagte Damen dazu bewogen, ihn so ins Herz zu schließen, dass sie seinen Bildern ein Grabmal bauen?«
» Grabmal klingt ziemlich schaurig.«
» Ist es ja auch.«
» Seine Bilder sind doch nicht mit ihm gestorben.«
» Aber so gut wie. Seit zwei Jahren sind sie sozusagen eingemauert.«
» Das wird sich jetzt schlagartig ändern, Rick. Ruben Helmbachs Nachlass wird einen nie dagewesenen Rummel auslösen. Die Preise werden explodieren und alle Welt wird über die Bilder reden.«
» Du meinst, den Ritters geht es hauptsächlich um den Ruhm?«
» Nein, das glaube ich nicht. Ich frage mich, ob es … Liebe ist.«
» Liebe?«
» Kann es nicht sein, dass er für sie der Sohn war, den sie beide nicht hatten?«
» Warum nicht.« Rick nickte. » Aber ein Sohn für zwei Mütter?«
» Zwei Frauen, die ihr Lebtag alles geteilt haben, kennen es vielleicht gar nicht anders.«
» Was nicht bedeuten muss, dass sie damit auch zurechtkommen.« Rick schluckte den letzten Bissen hinunter. » Isst du dein zweites Brötchen nicht?«
» Schenk ich dir.«
Während Rick auch dieses Brötchen mit großem Appetit verzehrte, dachte Bert über die Ritterschwestern nach und über Merle und darüber, dass er sich noch über gar nichts ein Urteil bilden konnte.
So war es am Anfang immer. Man hatte das Gefühl, am Fuß eines Berges zu stehen und mochte sich die Mühsal des Aufstiegs nicht einmal vorstellen.
Der nächste Schritt, so hoffte er, würde sie ein Stück weiterbringen. Ein Besuch bei Thorsten Uhland, dem Nachlassverwalter, der sie nach telefonischer Anmeldung in der alten Wachsfabrik erwartete.
Er sah auf seine Armbanduhr.
» Alter Sklaventreiber«, seufzte Rick und wischte sich die Krümel vom Mund.
Fünf Minuten später traten sie wieder in den frostigen Tag hinaus und beeilten sich, ins Auto zu kommen und die Heizung hochzudrehen. Da Rick jede Ecke von Köln kannte, brauchten sie das Navigationsgerät nicht zu programmieren.
Bert lehnte sich in seinem Sitz zurück und schloss für einen Moment die Augen.
Doch sein Gehirn konnte nicht abschalten, und in den kommenden Tagen würde der neue Fall es ganz und gar in Beschlag nehmen.
Was nicht das Schlechteste war, denn das hinderte ihn am Grübeln und ließ ihn seine Einsamkeit für eine Weile vergessen.
*
Ilka hatte den Werkraum für sich allein, was selten vorkam. Sie war dankbar dafür, denn so musste sie nicht reden und konnte sich ganz ihrer Arbeit widmen.
Das Malen war die einzige Beschäftigung, bei der es ihr gelang, den Kopf für Stunden auszuschalten. Ihre Gedanken zerflossen, und das gab ihr ein Gefühl von Leichtigkeit, wie sie es sonst fast nie empfand.
Sie arbeitete an einem Porträt ihrer Mutter, wie sie am Fenster ihres Zimmers saß und in den winterlichen Garten hinausblickte. Vermisste sie die Blüten und den Duft des Sommers? Freute sie sich über den Schnee?
Es tat Ilka gut, ihre Mutter zu malen. Es war beinah so, als säße sie ihr gegenüber und würde ihr Geschichten erzählen, ohne zu wissen, wie viel davon den Weg in ihr Bewusstsein fand.
Sie wagte es nicht, im Heim aufzutauchen. Nicht jetzt, wo sie sich kaum unter Kontrolle hatte. Ihre Mutter hatte sich nicht umsonst in ihr Innerstes zurückgezogen. Wie sollte sie Ilkas Kummer verkraften, wenn sie ihren eigenen nicht bewältigte?
» Halten Sie jede Aufregung von ihr fern«, hatte Frau Hubschmidt Ilka am Anfang geraten, damals, als die Mutter in das Heim eingeliefert wurde. » Sie muss zur Ruhe kommen.«
Ilka hatte den Rat befolgt. Sie tat es immer noch.
Vielleicht würde sie ihrer Mutter das Porträt einmal schenken. Irgendwann. Vielleicht konnte es ihr helfen, diese Ruhe zu finden, die sie heilen würde, denn Ilka packte so viel Ruhe hinein, wie sie nur konnte. Jede Linie verlief langsam und rund, jede Farbe ging unmerklich in die andere über. Keine harten Schnitte, keine lauten Effekte.
Es war, als schaute man über einen See von Stille.
Malen war eine Möglichkeit, den Menschen und den Dingen nah zu sein, ohne sich ihnen aussetzen zu müssen.
Wann hatte Ilka das Vertrauen in die Nähe anderer
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