Der Bilderwächter (German Edition)
wieder warm wurde. » Du fehlst mir.«
» Komm du lieber nach Bröhl zurück.« Sie löste sich aus der Umarmung und sah ihn an. » Oder existiert der Grund für dein Exil immer noch?«
Sie spielte auf Imke Thalheim an, die Frau, die sein Leben durcheinandergebracht hatte wie keine zuvor.
Die jedoch keinen Platz darin einnehmen wollte.
Oder konnte.
Er nickte.
» Sie hat einen neuen Krimi herausgebracht«, sagte Isa. » Er steht auf jeder Bestsellerliste ganz oben.«
Bert schaute über ihre Schulter hinweg auf die Reihe verkrüppelter Fichten, die den Parkplatz vom Nachbargrundstück abgrenzten. Sie trugen den Schnee wie einen Hochzeitsschleier.
» So schlimm?«, fragte Isa.
Er wollte nicht darüber reden, hielt ihr stumm die Wagentür auf.
» Ich bin immer für dich da«, sagte sie. » Vergiss das nicht.« Sie stieg ein, winkte und fuhr davon.
Bert blieb im Wagen sitzen, bis die Kälte ihn in Eis verwandelt hatte. Dann startete er den Motor und fuhr in die entgegengesetzte Richtung.
*
Ilkas Anblick hatte Marten die Sprache verschlagen. Ungläubig hatte er sie angestarrt, bis sie schließlich anfing, sich zu entschuldigen.
» Tut mir leid. Ich hätte dich nicht einfach so überfallen … ich hätte vorher anrufen sollen.«
Erst als sie sich umdrehte, um wieder zu gehen, hatte Marten sich gefangen. » Nein«, hatte er gesagt. » Nein, nein. Ich freu mich doch.«
Still war sie auf einen der beiden Sessel in seinem Arbeitszimmer gesunken und hatte die Hände im Schoß verschränkt. Er hatte sich auf den anderen Sessel gesetzt.
» Ich wollte mir gerade etwas zu essen machen«, hatte er schließlich gesagt. » Bist du auch hungrig?«
Sie hatte genickt und war ihm in die Küche gefolgt, um ihm zu helfen. Er hatte Brot und Käse aus dem Kühlschrank geholt, Tomaten und eine Dose Sardinen, und Ilka hatte gesagt, sie habe noch nie jemanden kennengelernt, der Brot im Kühlschrank aufbewahre.
Vor den Fenstern stob der Schnee. Die Heizung gluckerte.
Der Duft des Tees breitete sich aus.
» Lass mich nur ein bisschen bleiben«, hatte Ilka gesagt. » Ich kann jetzt nicht allein sein.«
Sie hatte darauf bestanden, dass er weiterarbeitete. Mit einem Buch hatte sie sich in den Sessel gekuschelt, und er hatte ihr eine Decke gebracht, damit sie aufhörte zu frieren. Die Unterlagen über Ruben Helmbach hatte er rasch beiseite geräumt und stattdessen angefangen zu malen.
Gegen elf dann war sie aufgestanden, um nach Hause zu gehen, und er hatte die Jacke angezogen, um sie zu begleiten.
Durch die Straßen, auf denen der Schnee im Licht der Laternen glitzerte, und durch den Hofgarten, der sich in einen Ort absoluter Stille verwandelt hatte.
Niemand außer ihnen schien unterwegs zu sein, und Marten dachte, dass sich Glück genau so anfühlen musste.
Vor ihrem Haus küsste Ilka ihn auf die Wange.
» Danke«, sagte sie leise. » Danke, dass ich bei dir sein durfte.«
Das kannst du immer haben, dachte er. An jedem einzelnen Tag und zu jeder Stunde. Du musst keine Sekunde mehr ohne mich sein.
Doch er sprach es nicht aus.
Wenn er es nicht verpatzen wollte, durfte er nicht ungeduldig werden.
*
Vom Fenster aus sah sie Marten, wie er auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, zögernd und irgendwie verloren. Als wisse er nicht, wohin.
Vielleicht waren sie einander doch ähnlicher, als sie gedacht hatte.
Dann, als hätte er einen Entschluss gefasst, wandte er sich um und verschwand im Hofgarten.
Ilka erinnerte sich daran, dass sie vor Stunden im Café ihr Handy ausgeschaltet hatte. Sie holte es aus ihrer Tasche und sah, dass Mike zweimal versucht hatte, sie zu erreichen. Dann hatte er ihr eine SMS geschickt: Geht’s dir gut? Mach mir Sorgen. Mike.
Auch Jette hatte sich gemeldet: Neuigkeiten zu Claudios Verlobter! Aber das muss dir Merle selbst erzählen. Hab dich lieb. Küsschen. Jette.
Die dritte SMS war von Merle: Claudios Verlobte hat sich als sehr nettes Mädchen entpuppt und ist bloß seine Cousine. Wir müssen quatschen, unbedingt. Schlaf gut! Merle.
Ilka merkte, dass sie den Kontakt zu ihrem normalen Leben verlor.
Wenn das so weiterging, würden ihr tausend Laras und Josefines nicht mehr helfen können.
Zu erschöpft, um die Mitteilungen zu beantworten, zog sie sich aus, putzte die Zähne, kroch ins Bett und löschte das Licht.
Rubens Bilder schwebten aus dem Dunkel auf sie zu, eine lange Reihe Kult gewordener Gemälde, die eine Geschichte erzählten, die Ilka nicht hören und nicht sehen wollte.
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