Der Bilderwächter (German Edition)
Breitner sich in den letzten Tagen seines Lebens gefürchtet? Diese Frage ging Bert nicht aus dem Kopf.
Er war lange aufgeblieben, weil er innerlich nicht zur Ruhe gekommen war. Das war der Nachteil, wenn er den Sport schleifen ließ.
» Kauf dir einen Crosstrainer«, hatte Nathan ihm geraten. » Darauf kannst du dich auch bei schlechtem Wetter abreagieren.«
Nathan war schlank und durchtrainiert, und Nachlässigkeit war ihm ein Dorn im Auge. Das konnte ganz schön anstrengend sein. Bert nahm sich vor, sich nie wieder mit einem Arzt anzufreunden.
Bodo Breitner hatte sehr zurückgezogen gelebt, erstaunlich für einen so jungen Mann, wie Bert fand. Doch möglicherweise war das seinem Ehrgeiz geschuldet, aus dem Milieu herauszukommen, in das er hineingeboren worden war.
Vor dem Job bei Thorsten Uhland hatte er nichts Aufregendes auf die Beine gestellt. Eine Lehre als Einzelhandelskaufmann, eine Stelle als Sachbearbeiter in der Filiale einer Versicherungsfirma, dann Schließung der Filiale und Arbeitslosigkeit.
Eine Laufbahn, wie viele junge Leute in Deutschland sie mittlerweile vorzuweisen hatten. Das pure Gift für einen jungen Menschen, der etwas erreichen wollte. Anderthalb Jahre lang zum Nichtstun verurteilt, war er dann plötzlich Thorsten Uhland begegnet.
Bodo Breitner hatte seine Chance wahrgenommen. Er hatte sich engagiert und sich unentbehrlich gemacht.
Ein roter Lieferwagen nahm Bert die Vorfahrt. Bert bremste vorsichtig ab. Die Temperaturen waren über Nacht gestiegen. Der schmelzende Schnee konnte auf der noch eiskalten Fahrbahn zu gefährlicher Glätte führen.
» Und kaum läuft es einigermaßen bei Bodo Breitner«, sagte er laut zu sich selbst, » da wird er umgebracht.«
Von jemandem aus seiner Vergangenheit? Einem, der dem Aufstieg nicht zusehen mochte? Der von Neid zerfressen war? Den Bodo Breitner auf dem Weg in eine gesicherte Existenz vergessen hatte?
Einer verlassenen Freundin?
Das würde die Heftigkeit der Messerstiche erklären. Auch einer Frau wäre es leicht gelungen, das Opfer zu töten. Nach dem Schlag auf den Kopf war Bodo Breitner nicht mehr fähig gewesen, sich zur Wehr zu setzen.
Oder war der Täter jemand aus Bodo Breitners Gegenwart? Wer kam dann in Frage?
Bert dachte noch darüber nach, als er das Präsidium betrat. Er steuerte sofort Ricks Büro an.
Rick saß am Computer. Er wirkte frisch und ausgeruht.
» Guck mich gerade bei den privaten Betreibern von Schließfächern um«, sagte er. » Bisher hab ich noch nichts gefunden. Es gibt für diese Typen etliche Möglichkeiten, im Verborgenen zu arbeiten. Da werden wir nicht so schnell weiterkommen, fürchte ich.«
Bodo Breitner war noch keine sechzig Stunden tot, das durften sie bei aller Hektik und bei allem Erfolgsdruck nicht vergessen. Bert kam sich vor wie am Anfang einer Straße, die an zahlreichen Stellen aufgerissen war. Irgendwann würde sich jedes der Löcher schließen lassen, doch bis dahin gab es noch viel zu tun.
In der Morgenbesprechung ließ der Chef einige Zeitungen herumgehen, die über den Nachlass des berühmten Malers berichteten. Für elf Uhr war eine Pressekonferenz angekündigt, und er erwartete großen Andrang.
» Ruben Helmbach«, sagte er und breitete in einer bedeutungsvollen Geste die Arme aus. » Man wird uns auf die Finger schauen. Dieser Fall wird jetzt öffentlich, und die Leute warten auf Ergebnisse.«
Auch die Fernsehsender hatten das Thema aufgegriffen. Noch war die relativ kurz gehaltene Nachricht von der Eröffnung des Nachlasses nicht mit dem Mord an Bodo Breitner in Verbindung gebracht worden, doch nun würden die Medien vollends kopfstehen.
Nicht zum ersten Mal wünschte Bert sich einen ruhigen, gemächlichen Job in einem kleinen Büro mit lauter unaufgeregten, sympathischen Kollegen und Kolleginnen, und nicht zum ersten Mal machte er sich klar, dass er eingehen würde wie eine Primel, wenn man ihm seine Fälle nehmen und ihn zu einem Schreibtischjob verdonnern würde.
Er brachte die Morgenbesprechung hinter sich und war gerade auf dem Weg in sein Büro, als sein Handy klingelte.
» Ilka Helmbach. Guten Morgen, Herr Kommissar. Sie wollten mich sprechen?«
Sie erzählte ihm, dass sie sich zurzeit in Birkenweiler aufhielt, und Bert nutzte die Gelegenheit, um sich mit ihr dort zu verabreden. Er konnte das gut mit einem weiteren Besuch bei den Ritters verbinden, denn der Chef leitete die Pressekonferenz heute selbst. Da musste Bert nicht auch noch sein Gesicht in die Kameras
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