Der Bilderwächter (German Edition)
der Dunkelheit zu ihrem Wagen, und jeder ordnete das Gehörte für sich allein.
Als Ilka es auf dem Weg nach Birkenweiler wagte, ihr Handy wieder einzuschalten, wurde sie von Nachrichten förmlich überschüttet. Journalisten wollten ein Statement zu Rubens Nachlass, Galeristen boten ihr eine Zusammenarbeit an, wildfremde Verrückte stießen wüste Beschimpfungen aus.
Ilka fragte sich, wie die an ihre Nummer gekommen waren. Thorsten! Wahrscheinlich hatte er auch hierbei die Hände im Spiel gehabt. Sie löschte eine Mitteilung nach der andern, bis nur noch drei übrig blieben.
1.: Hi, Ilka, wir müssen reden. Thorsten
2.: »Unsere äußeren Schicksale interessieren die Menschen, die inneren nur den Freund.« (Der alte Heinrich von Kleist). Liebe Grüße. Marten
3.: Bert Melzig hier. Bitte rufen Sie mich möglichst bald an, Ilka. Ich habe einige Fragen an Sie.
» Was Wichtiges?«, fragte Mike.
» Der Kommissar will mich sprechen.«
» Du weißt, wie das bei Mordfällen läuft. Die Bullen befragen jeden, der irgendwie mit dem Opfer zu tun hatte. Auch wenn du den Toten gar nicht gekannt hast – Rubens Nachlass ist das verbindende Element zwischen ihm und dir.«
Zwei Dinge wurden Ilka schlagartig bewusst: dass der Mord sich unbemerkt in ihrem Kopf (und in dem der andern) eingenistet haben musste, seit Merle davon erzählt hatte (sonst hätte Mike nicht sofort daran gedacht). Und dass der erste Mensch, der mit Rubens Nachlass in Kontakt gekommen war, jetzt tot und bleich im Leichenschauhaus lag.
» Ruben bringt allen nur Unglück«, sagte sie leise und bereute sofort ihre Grausamkeit.
Wie tief war sie gesunken, dass sie so etwas von irgendeinem Menschen denken konnte.
Mike schwieg dazu. Das Licht entgegenkommender Fahrzeuge glitt über sein Gesicht, hob es wie das Gesicht eines Geistes aus der Dunkelheit und ließ es wieder darin versinken.
» Vergiss, was ich da gesagt habe. Das war Schwachsinn.«
Und doch hatte sich der Gedanke nicht grundlos in ihr festgehakt. Der Vater tot, die Mutter psychisch krank, sie selbst völlig neben der Spur und jetzt war jemand ermordet worden.
» Meinst du, der Mann ist wegen Ruben gestorben?«, fragte sie und wandte sich ängstlich zu Mike.
»Keine Ahnung .« Mike richtete den Rückspiegel neu aus.
Ilka sank wieder in den Sitz. Der Arbeitsplatz eines Mordopfers war nur einer der Bereiche, in denen die Polizei Nachforschungen anstellen musste. Darüber hinaus gab es noch genügend andere: Familie, Freunde, Partner.
Polizeiliche Routine.
» Glaubst du, ich zähle zu den Verdächtigen?«
» Kommt drauf an, ob du ein Alibi vorweisen kannst.«
Ilka hörte das Grinsen in Mikes Stimme.
Aber das war ja lächerlich. Der Kommissar konnte nicht ernsthaft denken, sie hätte etwas mit dem Tod des Mannes zu tun.
» Ich weiß ja nicht mal seinen Namen«, sagte sie.
» Bodo Breitner«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
» Du hast dir seinen Namen gemerkt?«
» Er hat mich an den Fußballspieler erinnert. Paul Breitner.«
Ilka sah auf die Leuchtziffern der Uhr am Armaturenbrett. Bald Mitternacht, da konnte sie den Kommissar nicht mehr anrufen.
Das bedeutete Schonfrist.
Bis morgen.
» Dann noch eine Mitteilung von Thorsten«, sagte sie. » Er will reden.«
» Nicht ohne deinen Onkel«, bat Mike. » Ich finde, es ist eine gute Idee, ihn einzubinden. Allein bist du so einem Typen nicht gewachsen.«
Ilka nickte. Sie könnte einen Termin vereinbaren und Onkel Knut mitnehmen. Sie könnte Onkel Knut aber auch bitten, sich allein mit Thorsten zu unterhalten. Plötzlich gab es wieder Möglichkeiten. Und eine Perspektive.
Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, überließ sich der wohligen Wärme und den einschläfernden Fahrgeräuschen.
Unsere äußeren Schicksale interessieren die Menschen, die inneren nur den Freund.
Es war klar, dass Marten mit den äußeren Schicksalen die Entführung meinte. Alle hatten davon gehört, und die Wenigen, denen es damals entgangen war, würden das bald nachholen können, denn die Presse würde alles genüsslich wieder aufwärmen.
Konnte Marten mehr wissen?
Oder sonst irgendjemand?
Unmöglich. Sie hatte es niemandem außer Jette anvertraut. Und Ruben hätte sich eher die Zunge abgebissen, als darüber zu sprechen. Die Einzigen, die es durch einen schrecklichen Zufall herausgefunden hatten, waren die Eltern gewesen, und beide hatten teuer dafür bezahlt.
Der Vater konnte es nicht mehr verraten, und in der Sprachlosigkeit der
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