Der Bilderwächter (German Edition)
Mutter war das Geheimnis sicher aufgehoben.
Bei dem letzten Gedanken wurde Ilka schlecht. Sie fuhr das Fenster ein Stück herunter und sog gierig die winterliche Nachtluft ein.
Unsere äußeren Schicksale interessieren die Menschen, die inneren nur den Freund.
Sie fühlte sich Marten mit einem Mal ganz nah. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus und strömte von da aus durch ihren ganzen Körper.
Marten machte keine großen Worte, von denen sich hinterher herausstellte, dass sie hohl waren und bei der ersten Belastung Risse bekamen. Was er sagte, hatte Hand und Fuß, und was er ihr da anbot, war Freundschaft.
Freundschaft war etwas Wunderbares.
Sie konnte auffangen, heilen, glücklich machen, und es gab keinen vernünftigen Grund, nicht lauthals jedem davon zu erzählen.
Doch Ilka verschwieg Martens SMS , ohne zu wissen, warum.
*
Das klägliche Miauen drängte sich in meinen Schlaf und weckte mich. Ich tappte barfuß in die Küche und zur Terrassentür. Am Abend war Smoky wieder mal nicht nach Hause gekommen, wie so oft. Mitten in der Nacht stand er dann im Hof und lamentierte so lange, bis sich jemand seiner erbarmte.
Ich hatte die Hand noch nicht auf die Klinke gelegt, als ich ihn hinter mir maunzen hörte. Im nächsten Moment drückte er mir zärtlich den Kopf in die Kniekehle.
» Hab ihn schon reingelassen.«
Beim Klang von Ilkas Stimme zuckte ich zusammen.
» Hast du mich erschreckt!« Ich fuhr zu ihr herum. » Wieso sitzt du denn hier im Dunkeln?«
» So dunkel ist es gar nicht.«
Sie hatte recht. Ich sah in den verschneiten Hof hinaus, der im Mondlicht bläulich schimmerte. Smoky rieb sich an meinen nackten Beinen und bettelte heiser um Futter. Ich schüttete ein wenig Trockenfutter in einen Napf – prompt kamen sämtliche Katzen angelaufen.
» Kannst du nicht schlafen?« Ich setzte mich zu Ilka aufs Sofa.
Sie schüttelte den Kopf.
» Stört es dich, wenn ich eine Kerze anzünde?«
Sie schüttelte wieder den Kopf, und ich stand auf, um Kerze und Streichhölzer zu holen.
» Schön«, sagte Ilka, als der flackernde Lichtschein die Küche sanft erhellte. Ihre Stimme klang träumerisch und so, als wäre sie mit ihren Gedanken weit, weit weg gewesen. » Kannst du auch nicht schlafen?«
» Wenn Luke nicht bei mir ist, sitze ich beim kleinsten Geräusch hellwach im Bett.«
Ich vermisste ihn mehr, als ich mir eingestehen wollte. Selbst wenn mein Kopf verstand, dass Luke seinen Freiraum brauchte – mein Körper sehnte sich so nach seinem, dass es wehtat.
» Gib ihm Zeit.« Ilka drehte sich zu mir. Sie zog die Beine an und umschlang sie mit den Armen. » Sei nicht ungeduldig. Damit machst du alles kaputt.«
Sie wusste, wovon sie sprach. Mike tat sein Möglichstes, um sie nicht unter Druck zu setzen. Er zeigte eine Engelsgeduld und ich bewunderte ihn dafür.
Ilka legte das Kinn auf die Knie und schaute mich träge an. Sie war so schön im Kerzenlicht. Kein Wunder, dass Mike ihr Herz an sie verloren hatte.
» Ich gebe mir Mühe«, sagte ich, zog ebenfalls die Füße aufs Sofa und steckte sie unter eines der Kissen. Es war kalt in der Küche, doch ich hatte keine Lust, mir etwas zum Überziehen zu holen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und kauerte mich an die Rückenlehne.
» Da sind wir wieder.« Ilka lächelte. » Zwei Nachteulen.«
» Die alles sehen und alles wissen.«
» Und nichts Böses kann uns überraschen, weil wir von vornherein darauf gefasst sind.«
Ich gähnte. Die Müdigkeit hatte sich wie ein Schleier um meinen Kopf gelegt. Sie hüllte auch meine Gedanken ein.
» In Wirklichkeit kann man sich gegen das Unglück nicht wappnen«, sagte Ilka leise und beobachtete die Katzen, die müde und satt zurück zu ihren Schlafplätzen trotteten.
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, dabei hätte ich so gern etwas Tröstendes entgegnet. Ilka sah so traurig und so einsam aus. Ich streichelte sacht ihren Arm.
Ganz kurz, kaum merklich schreckte sie bei der Berührung zurück, hatte sich jedoch sofort wieder im Griff.
Ich musste an ihr schreckliches Geheimnis denken, das sie mir in einem verzweifelten Moment anvertraut hatte. Mit niemandem hatte ich darüber gesprochen, nicht mal mit Merle.
Ilka beugte sich vor und küsste mich auf die Wange.
» Womit hab ich das verdient?«, fragte ich mit einem Lachen in der Stimme, damit mir nicht die Tränen kamen.
» Du weißt es«, flüsterte Ilka, stand auf und verließ langsam die Küche.
*
Wovor hatte Bodo
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