Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
als wäre die Rauferei nie das eigentliche Ziel gewesen und als könne es seinen Blick nun – wie von Anfang an beabsichtigt – auf etwas anderes lenken, auf …
Was?
Eine Leuchttafel, die wie eine vorgestreckte Zunge von der Ecke der Kneipe ragte. Völlig normal, völlig unscheinbar, und dennoch konzentrierte sich das brodelnde, Übelkeit erregende Chaos seiner Einbildung darauf und schob sein Gehirn eine Sekunde lang beiseite.
Fosters , stand darauf. Eiskalt serviert .
Jäh fügten sich Verbindungen zusammen. Maus’ tiefer, gedehnter jamaikanischer Akzent füllte seinen Schädel aus und leierte die Namen der von Tommy Boyle bedrohten Dealer herunter, dann folgte ein allmählicher Übergang zu Sandras zaghafter Stimme von diesem Nachmittag.
»Ein paar der Weißen von unten an der Crescent, noch halbe Kinder. Der irre Foster war einer davon …«
»Fossey … Sie haben ihn Fossey genannt.«
»Shaper?« Cantons Stimme knisterte in seinem Ohr. »Bist du noch dran?«
Und als wäre seine Arbeit getan, als wäre es all die herzbelastende Mühe wert gewesen, ergab sich sein Gehirn dem betäubenden Nebel der kombinierten Dosis und ließ die Krankheit zurück in ihr übliches, unterschwelliges Schattendasein verblassen.
»Du musst jemanden für mich überprüfen«, presste Shaper keuchend heraus, immer noch erschüttert. »Könnte sein, dass er … dass er wichtig ist.«
»Wen?«
»Foster. Einen Typ namens Foster. Kleiner Dealer aus dem Gebiet von Camden. Mornington Crescent. Alles, was du rausfinden kannst.«
»Warum? Wer ist der Kerl?«
»Ich weiß es nicht.« Ein fröhlicher Klingelton bimmelte ihm ins Ohr. Ein wartender Anruf . »Ich muss auflegen.«
Er ignorierte Cantons aufgebrachtes »Warte!« , würgte das Gespräch ab und schaltete auf die zweite Leitung.
Es war Tal. Mit einer Adresse.
Der Adresse des lächelnden Schwarzen von dem Foto. Eines Mannes, der von seinem blauen Chakra beherrscht wurde – wenn man an solche Dinge glaubte. Der damit assoziierte Hang zu Ausdrucksstärke und Kreativität hatte den Ausschlag dafür gegeben, dass sich Shaper daran erinnern konnte, wo er das Gesicht schon einmal gesehen hatte.
Gebäude. Architektonische Kunst. Moderne Meisterwerke.
Er raste Richtung Osten mit dem Van durch Nebenstraßen. Er raste, um einen – selbst ernannten – urbanen Künstler namens Merlin zu retten.
Kapitel 21
Walter Clarke starrte auf die Messerspitze vor seinem Gesicht und erkannte mit einem unangebrachten Anflug von Selbstwahrnehmung, dass er schielte.
Stets auf den äußeren Anschein bedacht, ließ er seinen Blick normal werden und die schillernde Spitze zu einer verschwommenen Schliere in seinem Sichtfeld werden, die sein Gesicht fast – aber nicht ganz – berührte. Er ertappte sich dabei, dass ihn der plötzliche Drang überkam, herauszufinden, wie sich die Spitze an seiner Haut anfühlen würde, und er musste gegen die Versuchung ankämpfen, sie mit dem Nasenrücken zu berühren. Stattdessen lehnte er sich zurück, bis er gegen die nackten Ziegel der Studiowand stieß.
Das Messer folgte ihm nicht. Die Gestalt, die es hielt, rührte sich nicht, und ihren Gesichtsausdruck hätte sie selbst dann nicht ändern können, wenn sie es gewollt hätte. Dessen ungeachtet blieb das Antlitz wunderschön, und es fiel Walter schwer, an etwas anderes zu denken.
Er hatte schon immer Probleme mit der Konzentration gehabt. Ständig suchte er nach Befriedigung seiner Sinne, wurde fortwährend von Schönheit oder Ungewöhnlichem abgelenkt, das über den bloßen langweiligen Kontext hinausging. Wie ein surreales Gegenstück zu diesem schrecklichen, in sich geschlossenen Bild – »Mensch, der sich aufs Sterben vorbereitet« – erinnerte er sich daran zurück, wie er vor langer Zeit zwischen Freunden gestanden hatte, während in den Nachrichten immer und immer wieder der Tod der Zwillingstürme lief: Düsenflugzeuge, die wie apokalyptische Engel in feurige Gebäudeflanken krachten. Er hatte das Aufstöhnen der anderen gar nicht wahrgenommen, als er seelenruhig das atemberaubende Kräuseln der dichten Rauchwolken pries, danach hatten ihm ihre angewiderten, vernichtenden Blicke Rätsel aufgegeben. Ein anderes Mal, nicht lange davor, hatte er stundenlang die Bewegungen von Maden in einem über die Straße verteilten Fuchsjungen bewundert. Einmal hatte er benutzte Kondome aus einem Kanal gefischt und sie mit bloßen Händen und Stofftaschen in sein Atelier getragen – wo er
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