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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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Lügnerin.
    Er glitt aus dem Bett und kramte aus seiner Jacke die Morgendosis hervor. Dabei fiel ihm ein, wie ungewöhnlich heftig Mary ihre eigene Jacke von sich geworfen hatte, als sie in die Wohnunggekommen waren. Er spürte das Kleidungsstück in einer Ecke auf und begann mit einem Anflug von Modafinil zu verdankendem Mut, in den Taschen zu wühlen.
    Und seufzte.
    Es war Scheiße, recht zu haben.
    Behutsam weckte er sie und kaute dabei an der Innenseite seiner Wange.
    Sie lächelte liebevoll, als sie die Augen aufschlug, und er hielt seine Miene auf sorgsam kontrollierter Raumtemperatur. Spontan beschloss er, ihr die Chance einzuräumen, von selbst zu gestehen.
    »Wie viel«, sagte er, »weißt du noch über die Freunde deiner Mutter?«
    Mary rieb sich noch die Augen, streckte sich sinnesbetäubend – über dem Rand der Decke lugten perfekte kleine Nippel hervor – und brummte benommen: »Hä?« Dann schmiegte sie sich wieder an seine Seite.
    Er rückte ein Stück weg und verspürte ein kurzes Aufflackern von Zorn – vielleicht auch Angst, Danny? Angst vor der unbeschwerten Intimität der letzten Nacht? Shaper zückte das Foto, das aus der Schublade im Wintergarten stammte.
    »Diese Gruppe«, sagte er, »deine Ma, Glass, all die anderen. Woran erinnerst du dich noch? Du musst sie doch kennengelernt haben.«
    Verdutzt von der plötzlichen Veränderung seines Tonfalls setzte sie sich mit verkniffener Miene auf. »Ich hab dir doch gesagt, ich wurde da rausgehalten. Kann mich an kaum etwas erinnern. Was soll das alles?«
    Er nickte nur mit ausdruckslosen Zügen und stumm in Richtung des Bilds.
    »Sind … sind sie das etwa?« Mary wollte seinem Blick nicht begegnen. »Ich erkenne sie nicht.«
    Obwohl die morgendliche Dosis seine Wahnvorstellungen nur mit Müh und Not bändigte, hatte Shaper keine Mühe, sie zu durchschauen: Lügnerin .
    Er fragte sich, ob sie bereits merkte, dass ihr Spiel aus war, doch es zeichnete sich deutlich ab, dass sie nicht den einfachen Ausweg wählen würde. Shaper holte Luft, um mit seiner Anschuldigung zu beginnen, fühlte sich dabei im Moment der Wahrheit mehr als unbeholfen – und verspürte mindestens so viel Erleichterung wie sie, als plötzlich das Telefon klingelte. Sie stürzte sich aus dem Bett und auf die Ablenkung, fauchte ein forsches »Ja?« in den Hörer.
    Und ihre Züge veränderten sich. Ihre Augenbrauen sackten herab, dann zogen sie sich abrupt vor Zorn zusammen. Noch heftiger als zuvor knallte sie den Hörer auf die Gabel, als wäre das Telefon ansteckend, dann schlang sie die Arme um sich. Mary war unübersehbar blasser geworden, und Shaper ertappte sich dabei, dass er dahinter zynisch eine weitere ihrer schauspielerischen Darbietungen vermutete.
    »Karl«, flüsterte sie. »Schon wieder.«
    »Wie gestern?«
    »N-nein. Wie letzte Nacht. Er muss wohl zehn, zwölf Mal angerufen haben …« Elend setzte sie sich aufs Bett, immer noch splitternackt. »D-deshalb bin ich zu dem Internetcafé rübergegangen. Ich war ein wenig … verstehst du? Ist ein öffentlicher Ort, dachte ich mir. Ich hatte ja nicht damit gerechnet, dass du zurückkommen würdest.«
    Es bedurfte jedes Quäntchens von Shapers Entschlossenheit, um sie nicht in den Arm zu nehmen, um stattdessen an den Überresten der noch in ihm siedenden Wut festzuhalten.
    »Was hat er gesagt?«
    »Er klang so … so wütend. Hat nur gebrüllt und geschrien.« Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Nur wirres Zeug. Er hat ständig über … Leichen und Feuer geredet. ›Sie verdienen es, oder?‹, hat er gemeint. Dann hat er geflucht, mich ein Miststückund eine Hure genannt. Und danach nur noch geatmet.« Ihre Unterlippe bebte. »Er jagt mir Angst ein, Dan …«
    Inzwischen flossen die Tränen. Shaper konnte sich nicht länger zurückhalten. Er beugte sich vor, um sie zu umarmen, und klammerte sich an die unwirkliche Hoffnung, dass sie wenigstens in dieser Hinsicht die Wahrheit erzählte. Die Wahnvorstellungen – zu schwach und verworren, nur ein Getümmel von Argwohn und Hingezogenheit – konnten ihm auch nicht weiterhelfen.
    Ich hab mich zu sehr auf sie eingelassen. Bin zu sehr durcheinander.
    Als sich das ärgste Schluchzen legte und die Stille gebrochen werden musste, hob er seufzend die Arme von ihren Schultern.
    »Ich weiß, dass du Glass diese Briefe geschickt hast«, sagte er.
    So .
    Und ja, sie versuchte, sich herauszumogeln, täuschte Verwirrung vor, und eine Sekunde lang hasste er sie.

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