Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
jedeTür.« Shaper beobachtete, wie sich Phyllis’ Lippen teilten. Er kam ihrem Einwand zuvor und ließ sich die Initiative nicht aus der Hand nehmen. »Das glauben nur diese Irren, klar? Ich behaupte nicht, dass es funktioniert.«
Die wächserne Gestalt im Flur … das matt flackernde Licht …
Sein Blut, das zu Eis gerann.
»N-nur Schwachsinn, ja?« Er klang beinah überzeugt. »Tatsache ist, im Moment läuft ein unheimlicher kleiner Pisser frei herum, bringt Leute um … und hat eines dieser Dinger dabei. Ich habe es gesehen.«
Die Krähe an den Docks, die auf einen abgebrochenen Finger eingehackt hat. Die Abdrücke. Die verschmierten Male an den Türen der Opfer. Ein Treffer in den Datenbanken der Polizei …
»Das Ding ist aus der gestohlenen Faust eures Kumpels Tommy Boyle gefertigt.«
Stille so dicht wie Streichrahm erstickte den Raum. Shaper brauchte mit bis in den Hals hämmerndem Herzen einen Moment, um zu bemerken, dass die Knirschlaute verstummt waren.
Langsam, in perfektem Einklang, drehten die Zwillinge ihre Köpfe der Mutter zu.
Maude starrte Shaper ungebrochen an, eine Hand über der Snackpackung erhoben. Mit der Zunge leckte sie Schweinefett von Backenzähnen mit Goldfüllungen.
»Ich denke, ich trinke ein Tässchen Tee.«
Ihre Stimme genügte, um die Krankheit vorpreschen zu lassen, und Shaper erhob sich halb von seinem Sitz, um deren Zuckungen zuvorzukommen. Alte Gewohnheiten seiner Muskeln übernahmen das Kommando. Zwei Stück Zucker, ein Schuss Brandy . »Ich hole ihn!« Dann hielt er inne, die Knie noch durchgebeugt, und kam sich wie ein Idiot vor.
» Ich hole ihn«, berichtigte ihn Phyllis mit leiser Stimme.
Vicar kicherte in der Düsternis. Phyll erhob sich und stapfte hinaus. An der Tür blieb sie kurz stehen und raunte ölig: »Macht bloß nicht ohne mich weiter, ja?«
Dann herrschte wieder Stille, und Shapers Finger kneteten seinen Pillenordner.
Und das Kauen setzte erneut ein.
Diesmal lockerte Dave die Spannung auf, der sich in der unheilvollen Atmosphäre eindeutig genauso unwohl fühlte wie Shaper. »Harry Potter« , brummte er und setzte ein zurückhaltendes Lächeln auf.
»Wie bitte?«
»Diese ›Hand des Ruhms‹. In Harry Potter kommt eine vor. Ich hab alle Bände gelesen.«
Shaper fühlte sich eigenartig entwaffnet. »Oh.«
Maude richtete den Blick auf ihren Sohn. »Du halt die Klappe.«
Der Mann grinste voll kindischem Ungehorsam. »Wir vermissen dich, Dan.« Damit lehnte er sich auf dem Sofa zurück und summte leise vor sich hin. Maudes Blick schwenkte rasch zurück zu Shaper.
Und ich vermisse dich , dachte er, plötzlich überwältigt. Euch alle .
Er war mit den Zwillingen zwischen staubigen Bibliotheken und frostigen Morgen in der Schule ein zweites Mal aufgewachsen, so eng verbunden wie Geschwister. Er hatte sie dazu überredet zu rauchen, Pornos einzuschmuggeln und Einzeiler in feuchte Aufgabenhefte zu schreiben, damit sie sich verteidigen konnten, wenn er sich nicht in der Nähe aufhielt. Eine zweite Jugend, errichtet auf dem Sockel einer zweiten Familie.
Anfangs waren es nur vereinzelte Wochenenden gewesen, die er bei den Corams zu Gast im Schoße von purem Luxus verbracht hatte. Weihnachten um den Baum der Corams. Seine richtige Mutter hatte sich einen Dreck darum geschert.
Vielleicht, das musste er einräumen, hatte ein Hauch Bewusstsein dabei mitgespielt, wie er sich in ihre Zelle eingenistet hatte: ein gebrochener Junge, der keine Struktur hatte und sich eine bereits bestehende borgte wie ein gutmütiger kleiner Kuckuck. Aber da war nichts Finsteres dabei gewesen; kein verqueres Appellieren an Maudes Mutterinstinkte, kein Vorschieben seiner Verwundbarkeit. Mit dem Wissen über sie, das er nun besaß, hielt er es für wahrscheinlich, dass sie ihn gerade deshalb so bereitwillig geliebt hatte: weil er nicht verwundbar war, weil er klüger, rücksichtsloser, zynischer, kompetenter als ihre eigenen Kinder war. Besser gerüstet, in der Welt zu bestehen.
Zumindest in ihrer Welt.
Die Gelegenheitsjobs hatten in derselben Woche begonnen, in der sie ihren Abschluss machten. Zunächst hatte es sich nur um Kleinigkeiten gehandelt – Dinge herumchauffieren, hier etwas abholen, dort etwas abgeben. Manchmal hatte er allein gearbeitet, häufiger mit den Zwillingen hinten im Wagen, wo sie über Musik zankten. Wenn er zum Haus zurückkam, hatte immer ein Fünfziger auf ihn gewartet, zusammen mit einem freundlichen Zwinkern, wenn ihre eigenen Kinder
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