Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
ihn auf einem verfluchten Präsentierteller haben. Laut unserem Nachrichtendienst da drüben« – sarkastisch deutete er mit dem Daumen auf Shaper – »könnte er eine Vorliebe für Mitternacht haben, aber wir gehen kein Risiko ein. Deshalb verfrachten wir die Zivilisten frühzeitig an einen sicheren Ort. Ihr zwei passt auf sie auf, Dan und ich bilden die Frontlinie. Falls er es an uns vorbeischafft, liegt es bei euch.«
Die beiden Landser salutierten beinah. Das musste Shaper Vince lassen: Seit zehn Jahren trug er keine Uniform mehr, dennoch gebärdete er sich nach wie vor wie ein Profi. Tony hob die verkrüppelte Hand.
»Und wohin verfrachten wir sie?«
Shaper trat schneidig vor. Seine Gedanken kehrten zum Grauen der vergangenen Nacht zurück.
Vicar auf der obersten Stufe. Nur ein Zugang. Gerissener Mistkerl.
»Im obersten Stockwerk«, sagte er. »Dort sehen wir den Pisser schon lange im Voraus kommen, und …«
Sandra schnitt ihm mit einem entrüsteten Zischen das Wort ab. Das Kaffeetablett geriet ins Schaukeln. »Sie können Freddie nicht über drei Treppenfluchten hinaufschleppen!«
»Aber …«
»Das erlaube ich nicht. Es ist zu weit.«
»Hören Sie, Sandra …«
»Ich sagte nein!«
»Komm schon, San«, versuchte es Vince, die Handflächen beschwichtigend vorgestreckt. »Hier unten ist es nicht sicher.«
San? , dachte Shaper.
»Aber es ist doch bloß ein Kerl!«
»Ja schon …« Vince ging auf sie zu und wollte sie am Arm berühren, dann überlegte er es sich anders. Shaper bemerkte dabei durchaus den flüchtigen Blick des großen Ochsen in Richtung Talvir. »Aber er ist ein völlig durchgeknallter Irrer, der bereits einen Haufen Leute umgebracht hat. Wir müssen … dafür sorgen, dass niemandem etwas passiert.«
Einen Moment lang schien Sandra entschlossen, weiter zu streiten, dann beschränkte sie sich auf ein verdrossenes Brummen.
»Es ist trotzdem zu weit.«
»Wohin dann?«
Sie durchbohrte Shaper mit einem Blick, in dem Emotionen mitschwangen, die er nicht zu deuten vermochte, und schritt auf die Küche zu, wobei sie ihm bedeutete, ihr zu folgen. »Dahin«, sagte sie und zeigte mit dem Finger.
Shaper seufzte, als stumpfe Unvermeidlichkeit sein Gehirn durchknetete.
Warme Luft … vergessene Labore … ein aus Angst gemachter Stuhl .
»Fein«, brummte er schnaubend. »Verfrachten wir sie eben in den dämlichen Keller.«
Freddie wurde in die Dunkelheit hinabbefördert. Selbst diese kurze Reise genügte, um Sandra in einen Anfall von Besorgnis zu stürzen. Shaper beobachtete mit nagendem Unbehagen, wie sie ihre Schlüssel schwenkte und aufgeregt um die Männer fürs Grobe herumscharwenzelte, die das Rollbett zwischen sich trugen. Er ertappte sich dabei, sich auf perverse Art von der Tiefe ihrer Zuneigung überrascht zu fühlen – so viel Liebe und Traurigkeit und Angst, und alles für ein Kind, das aus Vergewaltigung und Verderben entstanden war.
Dann hasste er sich für den Gedanken.
Freddie ist ihr Junge. Das ist alles, was zählt .
Er dachte an das Kind zurück, dass er vor all den Jahren gezeugt hatte. Ein potenzielles Leben, ein in der Zeit erstarrter Protogeist. Mit all der Grausamkeit von Spekulationen fragte er sich, was für ein Vater er vielleicht geworden wäre, und ruderte mental zurück, als der Gedanke in seinem Schädel ein kurzes Schlingern der Sinne auslöste. Lass das sein .
Er rieb sich die Schläfen und tat so, als wäre es nicht geschehen.
Jedenfalls hätte sich Sandra keine Sorgen zu machen brauchen. Freddie schien entzückt von der Aufmerksamkeit zu sein – drei Quasiverbrecher, die ihn geduldig transportierten, jeder mit einem warmherzigen Lächeln im Gesicht. Shaper stellte fest, dass ihm ihre mühelose Verwandlung genauso viel Unbehagen bereitete wie Sandras mütterliche Aufregung. Er beschäftigte sich damit, Vinces einfallsreiche Reihe von Klapperalarmen und Fallen im Erdgeschoss zu überprüfen – in der Nähe von gefährlichen Türen herabhängende Töpfe und Pfannen, zerbrochenesGlas unter einstiegsanfälligen Fenstern – und hielt sich von der menschlichen Wärme fern.
Außerdem gab es noch andere Gründe, die Kellergewölbe zu meiden, und er ertappte sich dabei, so zu tun, als wolle er nur deshalb nicht nach unten, weil er oben zu viel zu tun hatte.
Nicht etwa wegen der Dunkelheit oder der Hitze.
Oder des Stuhls …
Als er sich schließlich davon überzeugt hatte, dass es dem mordlüsternen Eindringling nicht gelingen
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