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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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sehr entspannend oder entsetzlich langweilig – je nachdem, wie man sich fühlt. Ich habe festgestellt, dass sie mir dabei helfen, mich zu erinnern.« Er tippte sich an den Kopf. »Wussten Sie, dass ich einen Sommer als Perlentaucher verbracht habe? Dort unten in der Tiefe habe ich eine Schwäche für die kleinen Viecher entwickelt. Läuft alles auf Nostalgie hinaus.«
    »Perlen«, brummte Shaper. »Wann … wann war das denn?«
    Der alte Mann zuckte mit den Schultern. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich’s noch weiß.«
    Er ließ sich auf einem gewaltigen Lehnsessel nieder und nahm sich kurz Zeit, um zu Atem zu gelangen. Shaper sank auf ein kunstvolles Antikledersofa und betrachtete seinen Gastgeber.
    Ein hartnäckiger Saum weißer Haare klammerte sich an den Hängen des Schädels des alten Knaben fest wie eine Baumgrenze, über die sich die Kuppel wie ein olivfarbiger Eisberg erhob, spitzer, als dies möglich zu sein schien. Für Shaper mutete sein Teint mediterran an, allerdings entdeckte er keine Spur eines Akzents, und wo sich der Haarkranz über die Schläfen erstreckte, wies ereinen deutlichen Schimmer von Sandblond auf. Er trug weite Hauskleidung, eine Leinenhose und ein zerknittertes Hemd, eine Stufe über einem Pyjama, eine Stufe unter einer formellen Aufmachung. Die zierlichen und – wie Shaper bemerkte – konstant zitternden Hände hatte er über den Knauf seines Stocks gefaltet, und er lächelte das Lächeln eines Bilderbuchgroßvaters.
    »Nun denn«, sagte er. »Mr. Shaper, Privatdetektiv.«
    »In gewisser Weise. Ja.« Shaper hasste die Bezeichnung, konnte sich jedoch aus irgendeinem Grund nicht dazu durchringen, es auch zu sagen. »Und Sie … Sie sind Mr. Glass, richtig?«
    »Zurzeit schon. Ha . Zurzeit!«
    Aaah ja .
    Vor allem strahlte der Mann abseits der offensichtlichen Spleenigkeit und seines etwas irren Lächelns ein Gefühl außerordentlicher Herzlichkeit aus, ein echtes Interesse, echte Anteilnahme. Trotz all seines instinktiven Argwohns konnte Shaper sich nicht dazu durchringen, dies anzuzweifeln. Der letzte Anblick aus seinem Paranoiaanfall nebenan tauchte vor seinem geistigen Auge auf – der Geist einer puren, reinigenden Aura aus Weiß und Violetttönen.
    Messianisch geradezu , hätte Vince es ausgedrückt.
    Shaper wusste nur allzu gut, dass er seinen neurotischen Gehirnfürzen nicht trauen durfte. Dennoch hinterließen sie Eindrücke, die sich nur schwer abschütteln ließen. Das vergangene halbe Jahrzehnt war er regelmäßig über solche halluzinatorischen Auswüchse gestolpert – immer dann, wenn die Drogen aus dem Lot gerieten oder die Lage überwältigend wurde. Aber sie raubten ihm selten dermaßen den Atem wie an diesem Tag und hatten ihm noch nie ein Bild von solch strahlender Reinheit vorgegaukelt. Im Gegenteil, zum üblichen Handwerkszeug seiner Krankheit gehörten psychedelische Hirngespinste und verschwommene Assoziationen, die sich Shaper schon längst als Manifestationen seines Unterbewusstseins erklärt hatte – Bauchgefühle und erste Eindrücke, denen Form und Farbe verliehenwurden. Im besten Fall zogen sie eine ungebetene Vernebelung seiner Sinne nach sich, im schlimmsten – wie gerade eben – einen Absturz des Fleischcomputers in seinem Schädel, durch den Shaper handlungsunfähig wurde.
    Er wich ihnen aus, so gut es ging.
    Nichtsdestotrotz empfand er die Erinnerung an jenen reinigenden Strahlenkranz als besänftigend, und er stellte fest, dass er sich in Glass’ Gegenwart auf geradezu bizarre Weise ruhig fühlte. Selbst als er bemerkte, dass die braunen Augen ihn genauso fragend und neugierig musterten, wie er sein Gegenüber betrachtet hatte, verspürte er nicht den Drang, den Blick abzuwenden oder gereizt darauf zu reagieren.
    Tova brach das Schweigen, indem sie mit einem Tablett hereinkam, auf dem sie ein Glas Wasser und ein kleines Gefäß mit bunten Pillen balancierte. »Tablettenzeit«, verkündete sie und stellte es ab.
    Glass verdrehte die Augen, zwinkerte Shaper zu und begann, die Ration pflichtbewusst zu schlucken. In seiner zittrigen Hand schwappte das Wasser im Glas hin und her. Mit einem leichten Anflug von Neid beobachtete Shaper, wie die Tabletten verschwanden.
    »Sandra hat angerufen«, verriet Tova. »Sie sind fast hier. Ich habe für Freddie das Gästezimmer vorbereitet.«
    Der alte Mann hielt zwischen zwei Schlucken inne. »Meine Tochter und ihr Sohn«, erklärte er Shaper. »Sie besuchen mich jede Woche.«
    »Sehr nett.«
    »Er

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