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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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Schmerz hervorrufen müssen oder zumindest die schuldbewusste Höflichkeit, nicht hinzustarren. Aber der Junge kicherte mit so greifbarer Freude, dass Shaper keine solche Verlegenheit empfand und stattdessen einen blassen Abklatsch seines vorherigen Anfalls durchlebte: diesmal weder turbulent noch lähmend. Für ihn präsentierte sich der Junge umgeben von verschwommenen Schatten goldenen Grases, dem Duft von Thymian und den Geräuschen verzerrter Kuhglocken. Er ertappte sich sogar dabei, Tovas Lied mitzusummen.
    Was angesichts der Tatsache, dass er heimlich lauschte, eindeutig einen Fehler darstellte.
    Tovas Kopf hob sich so abrupt, wie sie verstummte. Ihre Miene durchlief in rascher Abfolge Bestürzung und Verlegenheit, bis sie sich bei dolchartiger Verärgerung einpendelte. Der Junge hingegen grinste weiter. Der ertappte Shaper öffnete die Tür weiter und setzte sein bestes Lächeln auf.
    »Hi. Ich bin Dan.«
    »Er redet nicht«, erklärte Tova monoton.
    »Verstehe.«
    »Das ist übrigens Freddie.«
    »Sandras Sohn?«
    »Ja.«
    »Glass’ Enkel.«
    Mit genervter Miene nickte sie. Sonst noch dämliche Fragen, Sie Genie?
    Shaper trommelte mit den Fingern auf den Türrahmen und überlegte, was er sagen sollte. Letztlich tauchte es aus dem Nichts auf. »Äh … Tova? Welche Schraube ist bei ihm denn locker?«
    Ihre Augen sprühten geradezu Funken. »Bei ihm ist keine Schraube locker«, fauchte sie. »Keine einzige. Es ist nicht seine Schuld.« Sie streichelte Freddies Handgelenk, als eine neue Welle von Zuckungen seinen Arm durchlief. »Es nennt sich Gaucher-Syndrom. Er kann bestimmte Arten von Fett nicht verarbeiten.Wirkt sich auf die Milz, das Gehirn, das Blut aus. Sehr schlimm, aber er hat keine Schraube locker.«
    »Na ja, eigentlich …« Shaper hüstelte verlegen, während seine Wangen rot anliefen. »Eigentlich meinte ich den alten Mann. Welche Schraube ist bei ihm locker?«
    Schulterzuckend brachte sie eine Sauerstoffmaske über dem Gesicht des Jungen an. »Er ist ein reizender alter Mann. Verwirrt, mehr nicht – und sehr alt. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Vielleicht hatte er irgendwann einen Schlaganfall. Ich bin nicht seine Ärztin, keine Ahnung. Seine Erinnerung ist durcheinander, das ist alles. Er ist trotzdem glücklich.« Ein Lächeln stahl sich in ihre Züge, als sie Freddie betrachtete. »Letztlich ist das alles, was zählt.«
    Shaper nickte, ein ungebetener Gast in einer Welt, die er weder kannte noch verstand.
    »Gaucher-Syndrom also? Klingt selten.«
    »Sehr selten. Deshalb hat er mich eingestellt. Haben Sie schon mal von Norrbotten gehört?«
    »Äh …«
    »Ist ein Ort in Schweden. Dort wurde ich zur Krankenpflegerin ausgebildet, bevor ich nach England kam, um fette Männer für Geld zu ficken.« Keine Scham in ihrer Stimme, nur der angewiderte Tonfall von jemandem, der an ein schlechtes Essen zurückdenkt. Shaper mied ihren Blick. »In Norrbotten«, fuhr sie fort, »gibt es viele kleine Gemeinden. Abgeschieden. Kleiner … wie sagt man … Genpool. Hohes Aufkommen von Gaucher-Syndrom Typ drei. Sehr schlimm. Ich habe mehrere Patienten betreut.«
    »Und wird es …« Shaper fuchtelte hilflos mit den Händen. »Wird es … wird es davon besser?«
    Tova durchbohrte ihn mit einem langen, kristallklaren Blick.
    »Aha«, sagte er.
    Eine Hand senkte sich auf seine Schulter. Er jaulte auf wie ein Welpe und wirbelte herum. Supercool .
    »Ich dachte, Sie wollten gehen«, sagte Sandra mit vor der Brust verschränkten Armen.
    »J-ja. Ich wollte nur … ja.« Shaper eilte den Gang hinab davon.
    An der Tür holte ihn Sandras Stimme ein, plötzlich überhaupt nicht argwöhnisch oder vorwurfsvoll. Stattdessen klang sie müde und angespannt, und als er zu ihr zurückschaute, stellte er fest, dass sich die Kraftfelder um sie irgendwie aufgelöst hatten. Was darunter zum Vorschein kam – in einem einprägsamen Spektrum verwirrender Andeutungen und halb wahrnehmbarer Eindrücke – war klein, hilflos und verängstigt.
    »Steckt er in Schwierigkeiten?«, murmelte sie. »Mein Pa?«
    Shaper schüttelte den Kopf, um die Vision zu vertreiben, und zuckte leicht mit den Schultern. »Ich persönlich bezweifle es. Aber ja, er macht sich Sorgen.«
    »Worüber.«
    »Kann ich nicht sagen. Er will nicht, dass Sie sich auch Sorgen machen.«
    Missmutig nickte sie. Dann fügte sie mit einem Anflug von Hoffnung hinzu: »Werden Sie ihm helfen, Mr. Shaper?«
    Die Fünfzehntausend-Pfund-Frage.
    Sag nein, sag nein,

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