Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
Er senkte das Glas. »Oder … vielleicht um jemanden anzurufen. So was halt.«
Shaper erschlaffte stöhnend über dem Tisch. Plötzlich ergab das Auftauchen eines hartnäckigen schwarzen Mercedes einen Sinn.
»Ist nicht meine Schuld«, jammerte Vince. »Du weißt ja, wie’s läuft. So was schlägt Wellen . Die Corams suchen seit Jahren nach Boyle. Was hast du denn erwartet?«
Eine Fliege stürzte ab und ertrank in Shapers Pint. Er wusste, wie sich das Insekt fühlte.
Plötzlich ertönte ein Piepton aus Tals Telefon. Der Junge verfiel in hektisches Tippen, womit er Shaper auf eine Idee brachte. Er kramte in seiner Jackentasche nach dem Peilgerät und schaltete es ein.
Vince, entweder nervös wegen der Verärgerung seines Freundes oder verlegen, weil er als Einziger kein Gerät in der Handhatte, leerte sein drittes Pint mit fünf lauten Schlucken, bevor er sich seelenruhig Shapers Bier zuwandte. Der Tag der abgestürzten Fliege wurde nicht besser.
Auf dem Peilgerät verharrte der rote Punkt des Schreckens regungslos – sicher – drüben im Herzen der Dunkelheit, der Heimat der Corams. Shapers Herzschlag normalisierte sich annähernd, und er brachte sogar den Mut auf, einen finsteren, trotzigen Blick in die Runde der anderen Gäste zu werfen.
»Heute gibt’s keine Scheißlöwen zu sehen«, murmelte er.
»Hab sie!« Auf der anderen Seite des Tisches schwenkte Talvir sein Telefon. Auf dem Bildschirm leuchtete verlockend eine Nummer.
»Siehst du?« Mit strahlender Miene zog Vince den Jungen mit der Gewalt einer Lawine in eine Umarmung. »Ist er nicht toll?«
Die beiden fingen an, sich zu küssen. Shaper wartete, bis offensichtlich wurde, dass sich das feuchte Spektakel noch länger hinziehen würde, dann fasste er behutsam hindurch und griff sich Talvirs Telefon. Er gab die Nummer in sein eigenes Gerät ein und stand auf, bevor das Gefummel begann.
»Ich geh mal eben ein Ei legen«, erklärte er und zeigte mit dem Daumen in Richtung der Toiletten. Keiner der beiden schaute auf.
Marys Telefon klingelte zu lange.
Entgegen allen Konventionen und Erwartungen waren die Toiletten im Mutt sauber, hell und dufteten nach Blumen. In Shapers Kabine wies die Kloschüssel nur ein Minimum an Erbrochenem auf, und lediglich drei mit Filzstift gemalte Humoresken verunstalteten die Wände. Bei zweien handelte es sich um Variationen der klassischen Zeichnung eines Pimmels mit Eiern, bei der dritten um einen Fußballwitz, den Shaper nicht verstand.
Mit geschlossener Hose und heruntergeklapptem Deckel saß er auf der Schüssel und überprüfte zum dritten Mal das Schlossder Tür. Sein Ruf als Mann von eiskalter Härte mochte nicht mehr viel wert sein, aber öffentlich in der Enge eines Scheißhauses in einem Pub am Telefon eine junge Frau anzustammeln, die er kaum kannte, konnte dem spärlichen Respekt, den er noch genoss, leicht den Todesstoß versetzen.
Er hatte absolut keine Ahnung, was er sagen sollte. Allerdings war es so, dass schon der bloße Gedanke an die Frau eine Beule in seiner Hose ausfahren ließ, und nachdem er einer Woche lang Orgasmen ohne die geringste Regung seines besten Stücks gelauscht hatte, war er sicher, dass ihm das Universum dadurch etwas mitzuteilen versuchte. Er war high, er war traumatisiert, er war geil: Er schuldete sich das Recht, dieser Frau nachzustellen.
»Hallo?«, ertönte es schließlich aus dem Telefon. Mary klang hellwach, vielleicht sogar eine Spur außer Atem. Shaper interpretierte das sofort mit einer Abfolge mentaler Bilder von Sexspielzeug, Whirlpools und Schokoladensoße.
Schwein .
»Ja, hi«, sagte er und widerstand dem Drang, nach der Klorolle zu greifen und sich einen von der Palme zu wedeln. Er mochte ein Schwein sein, ja – aber selbst für ihn gab es Grenzen. »Hier ist Dan Shaper.«
»Hi!« Fröhliche, überschäumende Idiotie. Dann: »Moment … wer?«
»Wir haben uns vorhin kennengelernt. Mit Mr. Glass.«
»Oh.« Eine winzige Pause. »Sie sind das.«
»Ja. Ich hoffe, ich störe Sie nicht.«
»Eigentlich rufen Sie ein wenig …« Ein Hauch von Missfallen hatte sich in ihre Stimme geschlichen, hatte den schöngefärbten Nonsens umschifft und war direkt aus ihrem wahren Ich hervorgedrungen.
Rrrrr … heiß .
»Was haben Sie gerade gemacht?«, fragte Shaper neugierig. Das, davon war er überzeugt, entsprach der Art von Dingen,über die sich normale Menschen unterhielten, wenn sie einander anriefen. »So spät noch auf, meine ich.«
»Was geht Sie das
Weitere Kostenlose Bücher