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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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auch jetzt fällt es mir schwer. Und nun willst du einen Rat, den ich dir als bester Freund nicht geben kann. Verlang nicht von mir,dass ich dir weitere Rechenschaft darüber ablege. Nur so viel: Ich umgebe mich gerne mit Frauenzimmern, aber ich fühle mich nicht zu ihnen hingezogen. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich feststellte, dass ich nicht allein damit bin. Viele Menschen fühlen wie ich.»
    Endlich trafen sich ihre Blicke, und Sören sah, dass die Augen seines Freundes feucht schimmerten. «Ja   … also   …» Sören wollte etwas entgegnen, aber sein Kopf war leer. Eigentlich hätte er seinen Freund jetzt gerne in den Arm genommen, ihm zumindest eine Hand auf die Schulter gelegt. Aber irgendetwas sperrte sich in ihm. Er hatte Angst, dass diese Geste der Vertrautheit, die körperliche Nähe, bei der er sich nie zuvor etwas gedacht hatte, genau in diesem Moment missverstanden werden könne. Im gleichen Moment wurde Sören bewusst, wie albern das war. Hatte er seinem Freund nicht gerade eben seine Gefühle für Mathilda Eschenbach gestanden? Und nun hatte Martin sich ihm nach all den Jahren offenbart, hatte ihm ebenfalls etwas gestanden, was ihm selbst viel peinlicher sein musste. Wie lange musste er sich damit schon herumgequält haben? Sie kannten sich doch so lange. War er selbst so blind gewesen, oder hatte er die Wahrheit nur nicht sehen wollen? Verschämt senkte er den Blick.
    «Ich kann dir nicht erklären, warum. Nimm es so, wie es ist.» Sörens Verstörtheit wich ein wenig, als er erkannte, dass sich ein zaghaftes Lächeln um Martins Lippen abzeichnete.
    Stumm begann auch er zu lächeln.
     
    Als Sören weit nach Mitternacht heimkehrte, fiel er todmüde ins Bett. Trotz seiner Vorsätze hatte er zu viel Wein getrunken, und eigentlich hätte er sofort in einen Tiefschlaffallen müssen, aber das merkwürdige Geständnis seines Freundes ging ihm nicht aus dem Kopf. Als er an Mathilda dachte, fühlte er sich irgendwie schuldig, auch wenn er wusste, dass das absurd war.

Im Viertel
    17.   August
     
    D ie Sache mit Martin ging Sören selbst während der Gerichtsverhandlung nicht aus dem Kopf. Zudem war er unausgeschlafen, sein Kopf brummte unaufhörlich. Nachdem er sich kurz mit Minna Storck beraten hatte, suchte Sören in der Verhandlungspause den Staatsanwalt auf, um sich ein Bild davon zu machen, welches Strafmaß man dort für seine Klientin wohl beantragen würde. Er kannte Dr.   Gustav Roscher aus dem Landgericht, wo er zuvor tätig gewesen war. Der Mann war recht umgänglich und hatte ein gutes Gespür für Verhältnismäßigkeiten. Seit Anfang des Monats vertrat Roscher den Oberstaatsanwalt, und Sören war erstaunt gewesen, als er seinen Namen unter der Anklageschrift gelesen hatte.
    Dr.   Roscher nickte nur kurz, als Sören ihm mitteilte, dass man ein Strafmaß unter 200   Mark respektive eine Haft von nicht mehr als 20   Tagen ohne Revisionsantrag akzeptieren würde. Sie brauchten nicht viele Worte zu verlieren. Beiden war klar, dass Minna Storck ein, wenn auch fauler, so doch kleiner Fisch war. Roscher lachte über Sörens Wortspielerei. Der Richter folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das Strafmaß im Wiederholungsfalle deutlich höher ausfallen würde. Die Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe von 180   Mark verurteilt. Minna Storck nahm das Urteil mit Armesündermiene an, und da sie natürlich kein Geld besaß, fügte sie sich dem Schicksal der Inhaftierung. Die Blicke, die sie Sören zuwarf, als sie abgeführt wurde, verrieten ihm, dass er richtig gelegen hattemit seiner Vermutung. In Zukunft würde Minna Storck wahrscheinlich nicht so schnell mit dem Gesetz in Konflikt geraten.
    Sören quittierte den Erhalt seines mageren Beihilfe-Honorars an der Gerichtskasse, zwinkerte bei Verlassen des Gebäudes wie üblich der steinernen Justitia zu und bestieg seine Droschke. Es war genau zwölf Uhr. Altena Weissgerber arbeitete bis zur Mittagszeit in dieser Fabrik. Mit etwas Glück traf er sie vielleicht schon zu Hause an.
    Sören wählte den Weg über die Carolinenstraße, ließ den Zoologischen Garten rechter Hand liegen und fuhr den zweiten Durchschnitt bis zur Grindelallee, wo er sich in den dichten Verkehr der stark befahrenen Allee einreihte. Es war immer noch heiß und staubig. Nachdem er den Grindelberg hinter sich gelassen hatte, kreuzte er den Canal der Isebek. Das wenige Wasser im Canal blühte, und ein moderiger Gestank lag über dem ganzen

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