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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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erzählen.«
    »Früher ist das Märchen der jungen Leute. Etwas, was in der Zukunft liegt. Für mich gibt es fast nur noch Vergangenes.«
    »Okay, und was machen Sie dann?«
    »Und?«, fragt das Mädchen hinter dem Tresen. »Was hatten Sie sich so vorgestellt?«
    »Kennen Sie eine Frau, etwa in meinem Alter, die Hovenier heißt?«
    Nein, der Name sagt ihr nichts.
    »Kat, so wurde sie früher auch genannt.«
    »Ist die Frau denn unser Gast? Vielleicht weiß Nicolette ja Bescheid, die Kollegin, die morgen Dienst hat. Sie arbeitet schon seit Jahren hier.«
    »Sie ist die Chefin«, sage ich. »Linda. In Wirklichkeit heißt sie Catharina.«
    »Ach, jetzt verstehe ich, was Sie gestern meinten, aber nein«, Noor schüttelt entschieden den Kopf, »Meneer Jacobson, da müssen Sie sich täuschen. Mein Chef ist ein fünfzigjähriger Geschäftsmann, seine Familie besitzt mehrere Hotels in der Stadt.«
    »Mevrouw Hovenier …«
    »Die gibt es hier nicht, tut mir leid.«
    Plötzlich ist es mir völlig unbegreiflich, dass ich alter Mann mich hierhergeschleppt habe. Mit Senos Todesanzeige im Gepäck als Rückfahrkarte in die Vergangenheit. Beherrscht von dervagen Vorstellung, dass es zu etwas gut wäre, Catharina wiederzusehen. Sie sollte hier sein, verändert und doch dieselbe, dort, wo jetzt Noor steht und mich fragend ansieht. Und wenn sie nicht im Hotel wäre … Nein. Natürlich ist sie nicht mehr da. Es wäre viel logischer, eine Frau in meinem Alter im Pflegeheim oder auf dem Friedhof zu suchen.
    Während Noor geduldig wartet, bis ich meine Gedanken sortiert habe, fällt mir ein anderer Name ein.
    Delmonte.
    Seit wann halte ich diesen Knaben eigentlich gefangen? Er darf nur aus seiner Zelle heraus, wenn ich eine Runde boxen möchte. Sogar bei den lächerlichen Kämpfen in Luizãos Sporthalle in Belo Horizonte bildete ich mir ein, der alte Knacker mir gegenüber sei Bobby Delmonte. Diese Vorstellung verhalf mir immer wieder zu kleinen Siegen. Ich drängte ihn in die Seile, knallte ihn auf die Matte, sah ihn mit blutiger Nase in seine Ecke kriechen.
    Zurück an dem Ort, wo ich Delmonte zum letzten Mal lebend gesehen habe, verursacht die Erinnerung an seinen Namen einen solchen Schock, dass die Zellentür mit einem lauten Knall auffliegt.
    Da steht er.
    Ich will ihn berühren, doch er rennt davon, sprintet aus dem Hotel, wahrscheinlich, um sich in Freiheit auf den Gegenangriff vorzubereiten. Wo er sich wohl verstecken wird? Nach all den Jahren will er natürlich erst einmal zu einer Frau in der Ruysdaelkade. Danach wird er Hunger haben und in irgendeiner Pinte mit seiner Männlichkeit protzen.
    »Meneer Jacobson?«
    »Gibt es Content noch? In der Utrechtsestraat?«
    »Content? Das ist ein Zeitarbeitsunternehmen, nicht wahr?«
    »Nein, ein Imbisslokal. Da gibt es koschere Brötchen.«
    »Ein koscherer Imbiss? Ich kenne nur Sal Meijer in der Scheldestraat. Soll ich Ihnen erklären, wo das ist?«
    »Nicht nötig, ich habe in der Gegend gewohnt.«
    »Ist das lange her?«
    »Fast siebzig Jahre.«
    »Oh! Dann hat sich bestimmt vieles verändert!«
    »Ja und nein«, sage ich, »eigentlich verändert sich alles immer nur auf dieselbe Weise.«
    »Wie kommt es eigentlich, dass Sie noch so gut Niederländisch sprechen?«
    »Wahrscheinlich, weil ich nie wirklich perfekt Brasilianisch gesprochen habe. In meinem Kopf ist nur Platz für eine Sprache.«
    »Ich stelle es mir schwierig vor, in einem anderen Land zu leben.«
    »Ach, in gewisser Weise ist unser ganzes Leben nichts anderes als eine Reise ins Ausland.«
    Sie blickt mich verständnislos an und sagt dann: »Nächstes Jahr will ich zusammen mit einer Freundin ein paar Monate durch Vietnam radeln.«
    Schweigend lächeln wir uns einen Augenblick an.
    »Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
    »Nein, danke. Ein bisschen Bewegung wird mir guttun.«
    »Ja, das stimmt. Bewegung ist gesund. Und zum Glück ist es ja trocken.«
    »Na, dann mache ich mich mal auf den Weg, Noor.«
    »Einen schönen Tag, Meneer Jacobson.«

11
    Auf den ersten Metern lasse ich mich von meinen unwilligen Beinen nicht beeindrucken, doch an der Ecke Albert Cuypstraat muss ich mich sehr zusammennehmen, um mich vor der Pommesbude nicht auf einen Plastikstuhl sinken zu lassen. Von dort aus schiebe ich mich in einer bunten Gesellschaft an den Marktständen vorüber in Richtung Ferdinand Bolstraat, wo eine U-Bahn-Linie gebaut wird, wie mir ein Verkehrspolizist erzählt.
    Eine U-Bahn in Amsterdam? Bestimmt habe ich das falsch

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