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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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meiner Feder, das in jenen Tagen unter dem harmlosen Titel »Beste Familiengeschichten« veröffentlicht wurde. Die Enthüllungen schrieb ich über, genauer gesagt, gegen meine drei Kinder, die beste Mami von allen, die Hündin Max und die Nachbarn von nebenan. Das Familienepos beginnt mit der Geburt meines Sohnes Rafael vor vielen Jahren und endet niemals. Man könnte es auch provoka-tiv »Die Meuterei der Eltern« nennen, denn ich verfaßte es als Beleg dafür, daß die Selbstaufgabe der Eltern gegenüber ihren Kindern eine pathologische Erscheinung darstellt, die auch durch das gnadenlose Regime der Kinder im häuslichen Alltag nicht gerechtfertigt wird.
    Ein Beispiel: Vor kurzem war ich bei einem meiner klügsten Freunde zu Gast, und sein kleiner Avigdor, der etwa zwei Meter mißt, lief wortlos durchs Zimmer. Der Vater wußte, was von ihm erwartet wird:
    »Avi«, flötete er, »hast du dem Onkel guten Tag gesagt?«
    »Nein«, sagte Klein-Avi und verschwand in Richtung Videogerät.
    Mein kluger Freund strahlte vor väterlichem Stolz:
    »Siehst du, das Kind kann einfach nicht lügen.«
    Ist mein Freund wirklich so dumm? Vielleicht. Aber es ist nun einmal so, daß wir, die israelischen Väter, die Früchte unserer Lenden, die uns, dank der Sonne und der JaffaOrangen, im Durchschnitt um eineinhalb Köpfe überragen, derart vergöttern, daß wir einfach verliebt sind in diese erste nationale Generation des internationalen Judentums, in diese herrlichen Wesen, die, zugegeben, hier und da ein wenig frech, manchmal auch unhöflich oder ungezogen, ein kleines bißchen aggressiv, kurz völlig unausstehlich, aber dennoch unsere Kinder sind?
    Sicherheitshalber befragte auch ich meinen Anwalt. Ich wollte wissen, ob Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit auch in Familienangelegenheiten gelten?
    Mein Anwalt, der selbst ein paar dieser herrlichen Wesen zu Hause hat, sagte zu, die heikle Angelegenheit »rundlich zu prüfen. Er studierte die einschlägigen Akten und zog einen zweiten Rechtsexperten zu Rate. Bereits zwei Tage später meldete er sich:
    »Ich konnte in Großbritannien einen Präzedenzfall ermitteln. Eine Waliserin aus Cardiff verklagte im Jahre 1664 ihren Mann, der sie im Lokalblatt als ein >Musterexemplar von Hexe< bezeichnet hatte. Der Fall gelangte bis zum Obersten Gericht vor König Karl II.«
    »Und wie ging die Sache aus?«
    »Der Mann konnte Beweise erbringen.«
    Ich war sehr erleichtert, nun habe ich in meiner Familie einen besseren juristischen Stand. Obwohl ich selbst meine Frau niemals in aller Öffentlichkeit als »Musterexemplar einer Hexe« bezeichnet hätte, dazu verehre ich sie und die Früchte ihres Leibes zu sehr.
    Natürlich erlaube ich mir dann und wann, meine Lieben für literarische Zwecke zu nutzen und will auch nicht verschweigen, daß mir meine Familie schon aus mancher Notlage geholfen hat. Wenn in meinem ausgedorrten Gehirn nämlich gar kein satirischer Gedanke mehr zündet, stürme ich in das Zimmer meines mittleren Sohnes Amir und frage:
    »Ein Zimmer nennst du das? Ein Saustall ist das.« Oder: »Was trödelst du schon wieder herum? Hast du keine Hausaufgaben aufbekommen?«
    »Nein«, kommt prompt die Antwort, »unser Lateinlehrer läßt sich morgen scheiden«.
    »Immer diese dummen Ausreden«, antwortet Papj dann und kehrt beschwingt zu seinem Schreibtisch zurück, bewaffnet mit der Idee zu einer hervorragenden Humoreske über einen frustrierten Lateinlehrer, der sich scheiden läßt, weil... weil seine rotzfrechen Schüler in seinem Namen eine Heiratsannonce in die Zeitung gesetzt haben ...
    Die lustige Geschichte erscheint in der Zeitung, und tags darauf erscheint der Rotschopf an meiner Türe und kündigt mir an:
    »Der Lateinlehrer möchte mit dir sprechen.«
    Meine Kinder geben sich aber keineswegs damit zufrieden, literarische Quelle zu sein. Im Gegenteil, meine schriftstellerischen Ergüsse werden von ihnen laufend kontrolliert, aber nicht etwa, weil sie meine Texte gern lesen. Keineswegs. Mit gerunzelter Stirn wird Wort für Wort geprüft, und nicht der Anflug eines Lächelns, geschweige denn ein anerkennendes Wort kommt über ihre Lippen, alles dient nur dem juristischen Ziel, eine Verleumdung zu entdecken. Und ihre Mutter macht mit ihnen gemeinsame Sache.
    »Ich habe schon Klügeres gelesen«, lautet die Literaturkritik, wenn ich Glück habe, der Lieblingskommentar meiner zartbesaiteten Gattin ist: »Die Schlußpointe ist dir aber total danebengeraten« und ein

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