Der Blaumilchkanal
sollte aber keinesfalls verallgemeinern. Unser Nachbar ist seit 35 Jahren überaus glücklich verheiratet. Mit fünf Frauen, einer nach der anderen.
Frau: Das ist natürlich der einfachste Weg. Sich scheiden lassen und wieder heiraten.
Mann: Zweifelsohne. Die Scheidung, die Flucht aus dem eigenen Heim, ja, so löst man heute Eheprobleme. Aber nicht bei uns. Wir sind seit über 20 Jahren verheiratet, wir leben in völliger Harmonie. Nicht wahr, Cla-rissa?
Frau: Stimmt genau, Manfred. Nicht etwa, daß mein Mann perfekt wäre oder daß unsere Kinder weniger Geschrei machten. Nein, wir sind ganz einfach der wahren Ursache für zerrüttete Ehen auf die Schliche gekommen.
Mann: Es sind die kleinen Reibereien.
Frau: Ja, die kleinen, täglichen Reibereien, die das Leben für zwei aneinandergekettete Wesen zur Hölle machen, auch wenn sie einander durchaus verbunden sind.
Mann: Ein Beispiel: Wenn ich abends schlafen will, möchte Clarissa ein Buch lesen.
Prau: Und wenn er morgens aufsteht, bin ich noch hundemüde.
Mann: Beim Frühstück blättere ich gerne in der Zeitung.
Frau: Und ich möchte mich unterhalten.
Mann: Ich liebe Karotten.
Frau: Und ich hasse Lärm.
Mann: Ich gehe abends gern im Park spazieren und beobachte Schnecken.
Frau: Ich bevorzuge klassische Musik.
Mann: Wenn ich ein wichtiges Telefongespräch aus dem Ausland erwarte, tratscht sie bestimmt gerade mit ihrer Freundin.
Frau: Keine Frage, wir haben unterschiedliche Vorlieben.
Mann: Wir haben unsere Probleme jedoch mit intellektueller Eleganz gelöst, nicht wahr, Liebste?
Frau: Durchaus, Manfred. Wir haben die kleinen Hindernisse aus unserem Eheleben geräumt, und zwar in gegenseitigem Einvernehmen.
Mann: Eines Abends wollte Clarissa zum Beispiel im Fernsehen eine Modenschau sehen und ich »Derrick«, im Zweiten.
Frau: Fast wären wir uns an die Gurgel...
Mann: Als wir plötzlich beide lachen mußten.
Frau: »Warum«, sagten wir uns, »warum sollten eigentlich nur die Handtücher im Badezimmer mit >Sie< und >Er< beschriftet sein?«
Mann: Am nächsten Tag kaufte ich ihr einen Fernsehapparat.
Frau: Und seither gab es bei uns keinerlei Streit mehr um das Programm. Jeder nach seinem Geschmack.
Mann: Das war jedoch nur der Anfang.
Frau: Langsam aber sicher wandten wir dieses Prinzip auch auf andere Bereiche des gemeinsamen Lebens an.
Mann: Von jeder Zeitung kaufte ich zwei Exemplare.
Frau: Wir haben zwei Stereoanlagen im Haus.
Mann: Zwei Fotoapparate.
Frau: Und zwei Kinder.
Mann: Ich habe für Clarissa auch einen Gebrauchtwagen angeschafft.
Frau: Seither bin ich selber mobil und nicht mehr von meinem Mann abhängig.
Mann: Danach bauten wir die Waschküche in ein Extra-Schlafzimmer für mich um.
Frau: Bitte ziehen Sie daraus keine übereilten Schlußfolgerungen.
Mann: Ganz im Gegenteil. Seit wir einen zweiten Telefonanschluß haben, sind unsere intimen Beziehungen auf einem neuen Höhepunkt.
Frau: Ich habe eine eigene Leitung.
Mann: Natürlich kosten diese Maßnahmen Geld.
Frau: Aber welches Opfer bringt man nicht für eine glückliche Ehe?
Mann: Eben. Mit etwas gutem Willen werden alle finanziellen Probleme aus dem Weg geschafft. Es gab jetzt nur noch unwesentliche kleine Reibungspunkte in unserem Eheleben. Frau: Das Verwenden des Badezimmers, zum Beispiel. Gemeinsame Schränke.
Mann: Die Konversation am Morgen.
Frau: Die Schnecken.
Mann: Da brachte Clarissa in Erfahrung, daß über uns im fünften Stock eine kleine Wohnung frei würde, und schon nach einer Woche bin ich samt meinen persönlichen Habseligkeiten umgezogen.
Frau: Noch nie war unsere Beziehung so gut.
Mann: Da wir die kleinen Störfaktoren der Ehe losgeworden sind.
Frau: Am Morgen muß man nicht mehr das gelangweilte Gesicht des Partners ansehen.
Mann: Karotten nach Herzenslust.
Frau: Getrennte Post.
Mann: Clarissa hat ihren Mädchennamen wieder angenommen.
Frau: Das war eine der glücklichsten Epochen in unserer Ehe.
Mann: Ganz meine Meinung. Es gibt jedoch im gemeinsamen Eheleben immer noch Verbesserungsmöglichkeiten.
Frau: In der Tat. Es bestand ja nach wie vor die Möglichkeit, daß mein Mann und ich uns im Treppenhaus begegnen, obwohl ich dazu seelisch gerade nicht bereit bin.
Mann: Oder daß Clarissa die Kinder anbrüllt und der Lärm zu mir hinaufdringt.
Frau: Es gab noch immer Reibungspunkte.
Mann: Deshalb haben wir beschlossen, daß Clarissa umzieht, und zwar ans andere Ende der Stadt.
Frau: Das hat unsere Beziehung jedoch in keinster
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