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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Menge Werbung gespickt war – besonders in der zweiten Hälfte jeder Folge, die in Seifenopern generell mehr Werbung hat, weil sich die Macher sagen, dass man schon hineingesogen und hypnotisiert ist und deshalb noch mehr Werbung über sich ergehen lässt –, und am Ende jedes Werbeblocks tauchte das Markenzeichen der Serie auf, der Planet Erde aus dem Weltall, und die Stimme des CBS -Sprechers sagte: »Sie sehen As the World Turns « , was er an diesem einen bewussten Tag jedes Mal eindringlicher zu sagen schien – »Sie sehen As the World Turns «, bis der Tonfall schon fast skeptisch wirkte – »Sie sehen As the World Turns« – und mich die bloße Realität dieser Aussage plötzlich umhaute. Ich will nicht auf irgendeine geisteswissenschaftsmäßig ironische Metapher hinaus, sondern ich meine seine ganz konkrete Aussage. Ich könnte nicht mehr sagen, wie oft ich sie in jenem Jahr gehört habe, während ich As the World Turns gesehen habe, aber plötzlich ging mir auf, dass der Sprecher immer wieder genau das beschrieb, was ich gerade tat: Ich saß da und sah zu, wie sich die Welt drehte. Und nicht nur das, sondern mir ging auch auf, dass mir das schon unzählige Male gesagt worden war – der Satz des Sprechers folgte, wie gesagt, auf jeden Werbeblock nach jedem Abschnitt der Folge –, ohne dass mir die buchstäbliche Wirklichkeit meines Tuns je auch nur im Geringsten bewusst geworden wäre. In diesem Augenblick der Bewusstwerdung war ich nicht am Obetrollen, möchte ich noch betonen. Das hier war anders. Es war, als wendete sich der CBS -Sprecher direkt an mich, als schüttelte er mich an den Schultern oder Beinen, um mich aufzuwecken – »Sie sehen As the World Turns «. Es ist schwer zu erklären. Es war nicht mal die offenkundige Zweideutigkeit, die mich umhaute. Es war buchstäblicher, wodurch es irgendwie noch schwerer zu durchschauen war. All das brach über mich herein, als ich da saß. Es hätte sich auch nicht konkreter anfühlen können, wenn der Sprecher gesagt hätte: »Sie sitzen auf einem alten gelben Wohnheimsofa, lassen einen schwarz-weißen Fußball kreisen und sehen zu, wie sich die Welt dreht, ohne je wirklich zu merken, dass Sie genau das tun.« Und das haute mich um. Es ging nicht mehr nur um den nichtsnutzigen Kaputtnik – es war, als wäre ich gar nicht da. In Wahrheit wurde ich mir der offenkundigen Zweideutigkeit von »Sie sehen As the World Turns « erst drei Tage später bewusst – des fast schon Furcht einflößenden visuellen Wortspiels der Serie, dass man fernsah, während sich die Welt weiterdrehte und man seine Zeit damit verschwendete, etwas zu sehen, dessen Empfang durch den Kleiderbügel sowieso nicht besonders gut war, während sich in der wirklichen Welt die ganze Zeit wichtige Dinge ereigneten und zielstrebige, engagierte Menschen auf schwungvolle, sachliche Weise ihren Geschäften nachgingen –, also erst am Donnerstagmorgen, als mich diese zweite Bedeutung plötzlich unter der Dusche umhaute, bevor ich mich hastig anzog, um dann (so jedenfalls meine Absicht) zum Repetitorium in Amerikanischer Verfassungsgeschichte zu hetzen. Was möglicherweise zu den Gründen gehörte, warum ich so zerstreut war und die Gebäudeeingänge verwechselte. Am Montagnachmittag kam bei mir jedenfalls nur an, dass da wiederholt wurde, was ich gerade tat, nämlich nichts, weil ich ja nur wie ein nasser Sack rumhing und mich nicht mal in die oberflächliche Realität zwischen meinen Knien verwickeln ließ, dass Victor Jeanette gegenüber seine Vaterschaft abstritt (obwohl Jeanettes Sohn dieselbe äußerst seltene und genetisch bedingte Blutkrankheit hatte, deretwegen Victor den größten Teil des Semesters im Krankenhaus verbracht hatte. Ich weiß noch, dass ich damals dachte, Victor könnte in gewissem Sinn sein eigenes Leugnen sogar »geglaubt« haben, einfach weil er offenbar so ein Typ war).
    Es ist aber auch nicht so, als hätte ich das alles damals bewusst reflektiert. Damals wurde mir nur die konkrete Wucht des Satzes bewusst, und mir dämmerte die Erkenntnis, dass dieses ganze ziellose Dahintreiben, die Faulheit und das »Kaputtniktum«, das so viele von uns in jener Ära als nihilistische Kunstform zelebrierten und cool und witzig fanden (ich hatte es ja auch cool gefunden oder wenigstens geglaubt, es cool zu finden – dieses unverhohlene Kaputtniktum und Dahintreiben hatte anscheinend etwas fast Romantisches gehabt, das Jimmy Carter als »Malaise« bezeichnet hatte und womit

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