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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Studenten vor ihm – deren Brillen das Licht des Overheadprojektors so widerspiegelten, dass es ihnen einen offen roboterhaften, konformistischen Anschein gab; Zwillingsflecken aus weißem Licht, wo ihre Augen hätten sein sollen, was mich, wie ich noch weiß, beeindruckte – es pflichtbewusst abschrieben. Oder ein anderes Beispiel, das auf seiner eigenen Folie vorgedruckt war und Karl Marx zugeschrieben wurde, dem allgemein bekannten Vater des Marxismus –

In der kommunistischen Gesellschaft wird es mir möglich gemacht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe –
    was der Ersatzdozent nur mit dem trockenen Satz »Hervorh. nicht im Orig.« glossiert hatte.
    Ich möchte darauf hinaus, dass es der Erfahrung der evangelikalen Freundin mit den Stiefeln letztlich viel ähnlicher war, als ich damals zugeben konnte. Natürlich könnte ich durch die bloße, nur exakt 2.200 Wörter umfassende Geschichte einer Erinnerung niemanden je davon überzeugen, dass irgendjemand sonst allein durch die apriorische, objektive Qualität der Vorlesung des Ersatzdozenten an seinem Sitz kleben geblieben und das Repetitorium in Amerikanischer Verfassungsgeschichte vergessen hätte oder dass vieles von dem, was der katholische Pater (wie ich fand) sagte oder auf die Leinwand projizierte, direkt an mich adressiert zu sein schien. Zumindest kann ich aber zu erklären versuchen, warum diese Erfahrung »evoziert« werden konnte, denn kurz bevor es zu der Verwechslung der beiden Repetitorienräume kam, hatte ich schon einen tremorartigen Vorgeschmack genau dieser Erfahrung gehabt, obwohl ich sie als solche – also die Erfahrung jetzt – erst im Rückblick verstand.
    Ich erinnere mich deutlich, dass ich wenige Tage zuvor – genauer gesagt am Montag der letzten regulären Vorlesungswoche im Herbstsemester ’78 – am helllichten Tage schlaff und unmotiviert auf dem alten gelben Cordsofa im Wohnheim an der DePaul herumgehangen hatte. Ich war allein, trug eine Trainingshose aus Nylon und ein schwarzes Pink-Floyd-T-Shirt, ließ einen Fußball auf den Fingerspitzen kreisen und sah auf dem kleinen Schwarz-Weiß-Zenith des Sozialraums die CBS -Seifenoper As the World Turn s – ich war nicht am Obetrollen oder schwänzte irgendwas Bestimmtes, sondern war einfach nur ein unmotivierter Schwachmat. Natürlich hätte ich für die Abschlussprüfungen lesen und büffeln sollen, aber ich ließ mal wieder den Kaputtnik raushängen. Ich lag weit runtergerutscht auf dem Steißbein auf dem Sofa, sodass der kleine Bildschirm von meinen Knien gerahmt wurde, sah As the World Turns und ließ auf müßige, ziellose Weise den Fußball kreisen. Streng genommen war es der Fernseher des Mitbewohners, aber der arbeitete hart im vorklinischen Teil des Medizinstudiums und saß ständig in der Naturwissenschaftsbibliothek, allerdings hatte er sich die Mühe gemacht, einen Kleiderbügel so zurechtzubiegen, dass er die fehlende Zenith-Antenne ersetzte, und nur deswegen hatte ich überhaupt Empfang. As the World Turns wurde nachmittags von 13 bis 14 Uhr von CBS ausgestrahlt. Auch dem frönte ich in meinem letzten Jahr zu viel, rumhängen und vor dem kleinen Zenith Zeit vergeuden, und ein paarmal war ich nachmittags völlig passiv in die CBS -Seifenopern hineingesogen worden, deren Figuren alle ununterbrochen und ohne die geringste Intensitätsschwankung sprachen und sich verausgabten, sodass das Ganze etwas fast schon Hypnotisches bekam, zumal ich montags und freitags keine Seminare hatte und daher nur allzu leicht vor dem Fernseher hängen blieb und mich hineinsaugen ließ. Ich kann mich erinnern, dass viele andere Studenten an der DePaul in jenem Jahr nach der Abc-Seifenoper General Hospital süchtig waren und sich in begeisterten und johlenden Großgruppen vor den Fernsehern zusammenfanden – wobei ihr hippes Alibi lautete, sich in Wirklichkeit über die Serie lustig zu machen –, aber aus Gründen, die wahrscheinlich mit dem grieseligen Empfang des Zenith zu tun hatten, war ich in jenem Jahr Stammgast bei CBS und besonders bei As the World Turns und der Springfield Story , die werktags immer um 14 Uhr im Anschluss an As the World Turns ausgestrahlt wurde und in mancher Hinsicht eine noch hypnotischere Serie war.
    Jedenfalls saß ich also da, versuchte, den Fußball auf den Fingerspitzen kreisen zu lassen, und verfolgte die Seifenoper, die mit jeder

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