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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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gemacht hatte, was ich auf bohrende Nachfragen nach meinen Zielen oder dem Ursprung meiner Interessen denn nur antworten sollte. Ich hatte mich gefragt, wie ich denn bloß die Wahrheit sagen sollte, ohne dass die Werber vom Service so reagierten, wie der Vizekommissionsleiter Zulassung kurz zuvor reagiert hatte, oder mich auch nur entfernt so sahen, wie ich in der schon erwähnten Lindenhurst-Erinnerung das Christenmädchen mit den multifloralen Stiefeln gesehen hatte. Soweit ich mich erinnern kann, musste ich am ersten Tag der Anwerbung außer dem Begrüßungs-»Hallo!« und ein paar unverfänglichen Fragen aber gar nichts sagen – doch, meinen Namen natürlich. Fast mein ganzer Beitrag hatte, wie gesagt, die Form von Formularen, von denen viele in den linken unteren Ecken Strichcodes hatten – eine Einzelheit, an die ich mich erinnern kann, weil ich meines Wissens vorher in meinem ganzen Leben noch nie Strichcodes gesehen hatte.
    Die Werbebüromappe mit den Hausaufgaben war dann dermaßen trocken und undurchdringlich, dass man buchstäblich jede Zeile mehrmals lesen musste, um ihr irgendeinen Sinn entnehmen zu können. Es war kaum zu fassen. Bei den Lehrbüchern der – sofern die Witterungsbedingungen das zuließen – schon laufenden Veranstaltungen zu Betriebsrechnungswesen und Steuerprüfung an der DePaul hatte ich ja schon in den echten Fachjargon echter Rechnungsprüfer hineingeschnuppert, aber im Vergleich zu den Service-Materialien waren diese Lehrbücher reiner Pipifax. Der dickste Einzelpacken in der Mappe waren mit Tonermangel abgezogene Xerokopien mit dem Titel Abriss der Verfahrensvorschriften, was übrigens aus Titel 26, § 601 der Bundesgesetzsammlung, stammt. Ein achtundachtzig Worte umfassender Abschnitt einer Seite, die ich, wie ich mich erinnere, zunächst einfach aufs Geratewohl aufgeschlagen und gelesen hatte, um mir einen Eindruck davon zu verschaffen, was ich da zu lesen und zu verarbeiten hatte, war ¶1910, § 601.201a(1)(g), Unterteil xi:
    Zu Auskunftsanträgen bezüglich der Klassifizierung einer Organisation als Kommanditgesellschaft mit einem Unternehmen als alleinigem Vollhafter vgl. steuerrechtl. Best. 72-13, 1972-1 CB 735. Vgl. außerdem steuerrechtl. Best. 74-17, 1974-1 CB 438 sowie steuerrechtl. Best. 75-16, 1975-1 CB 676. Die steuerrechtliche Bestimmung 74-17 gibt bestimmte Betriebsvorschriften des Service in Bezug auf die Ausstellung verbindlicher Steuerauskünfte bekannt, die die Klassifizierung von als Kommanditgesellschaften strukturierten Organisationen betreffen. Die steuerrechtliche Bestimmung 75-16 enthält eine Checkliste über die benötigten Informationen, deren Angabe in Auskunftsanträgen hinsichtlich der Klassifizierung von Organisationen zu Bundessteuerzwecken oft versäumt wird.
    Das ganze Ding las sich praktisch so. Und damals wusste ich noch nicht einmal, dass wir im Schulungs-und-Management-Zentrum alle 82.617 Worte des Leitfadens Verfahrensvorschriften memorieren würden, allerdings weniger zu Informationszwecken – jeder IRS -Steuerprüfer hatte in seinem Tingle-Tisch die Verfahrensvorschriften im Leitfaden Steueraufkommen griffbereit in der rechten unteren Schublade, mit einem Kettchen festgemacht, damit niemand sie nehmen oder ausleihen konnte, denn wir sollten sie an unseren Tingles jederzeit konsultieren können –, sondern als eine Art Diagnosewerkzeug, um in Erfahrung zu bringen, wer stundenlang dasitzen und sich ihm widmen konnte im Gegensatz zu denen, die das nicht konnten, was offenkundig damit in Zusammenhang stand, wer es auf den verschiedenen Ebenen von Komplexität und Trockenheit packen konnte (deshalb wurde die Steuerprüfungskomponente im SMZ -Ausbildungsgang am SMZ auch »Konzentrationslager« genannt). Als ich damals im Kinderzimmer im Haus meines Vaters in Libertyville saß (das Wohnheim an der DePaul war noch immer geschlossen, weil ein paar gefrorene Wasserrohre geplatzt waren – ein Großteil der Stadt war durch den Schneesturm und seine Folgen immer noch lahmgelegt), lautete meine Schlussfolgerung, dass man uns die Lektüre dieser Materialien als einen Test oder eine Hürde oktroyierte, um festzustellen, wer wahrhaft motiviert war und es ernst meinte und wer sich nur treiben ließ und bei der Regierung bloß die Übernahme irgendwelcher Weiterbildungskosten abzocken wollte. Ich hatte immer wieder den Bedürftigen vor Augen, der bei der Nachmittagspräsentation die ganzen Doughnuts aufgegessen hatte und jetzt wahrscheinlich in einer

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