Der bleiche König: Roman (German Edition)

Bezirksbüro, Verbindungsstelle Regionalbüro, Vervielfältigungsdienste, Beschaffung, Verbindungsstelle Revisionsrecherchen, Sekretariat, Personal, Verbindungsstelle Kundenzentrum, Verbindungsstelle Rechenzentrum usf., zuzüglich formaler »Steuerprüfer«-Zuordnungen, die (in jener Ära, wohingegen die Gruppeneigenschaften im heutigen RPZ Mittlerer Westen etwas anders beschaffen sind) nach den Steuererklärungstypen gruppiert wurden, auf die man sich spezialisierte und die auf der Grafik als 1040er, 1040Aer, 1041er, EST und »Fette« auftauchten, wobei sich Letzteres auf komplexe 1040-Steuererklärungen mit mehr als vier Anhängen oder Beilagen bezieht. Steuererklärungen 1120 und 1120S für Unternehmen werden darüber hinaus von speziellen Prüfern geprüft, die in der Prüfabteilung als »Immersionisten« laufen und zu denen die Werbeseite keine Informationen enthielt, da immersive Steuerprüfungen von einer speziellen Elite durchgeführt werden, eigens ausgebildeten Steuerprüfern, die im RPZ -Komplex ihre eigene Sektion haben.
    Ich weiß jedenfalls noch, dass dem Ganzen die Vorstellung zugrunde lag, dass jemand, dem es wirklich ernst war, alles daran setzen würde, den Inhalt der gesamten Mappe durchzulesen, dass er die hinten versteckten Formulare finden und ihre relevanten Teile ausfüllen und sich dann, sofern die Witterungsbedingungen es zuließen, die Mühe machen würde, wieder zum Werbebüro an der West Taylor zurückzupendeln und sich dort morgens um 9 Uhr zur, wie es auf der letzten Seite hieß, »nächsten Bearbeitungsstufe« einzufinden. Es schneite wieder die ganze Nacht lang, wenn auch nicht mehr so stark, und ab 4 Uhr früh hörte man wieder das scheußliche Geräusch, mit dem die Schneepflüge der City of Libertyville vor meinem Kinderzimmerfenster über die Betonstraßen der Stadt schrammten. Auch das Vogelgezwitscher bei Sonnenaufgang war unglaublich und sorgte dafür, dass in manchen Häusern an unserer Straße ärgerlich das Licht eingeschaltet wurde. Und die CTA hatte auch weiterhin nur einen wackligen Fahrplan. Trotz des Pendlerandrangs zu dieser Tageszeit und trotz der Unbilden des langen Marschs von Grant Park stand ich schon um 9.20 Uhr wieder im Anwerbungsbüro (wenn auch erneut schneebedeckt), traf niemanden vom Vortag an, und nur derselbe Service-Werber saß immer noch da, inzwischen noch erschöpfter und derangierter, und als ich hereinkam, ihm die Formulare der durchgeackerten Hausaufgaben reichte und sagte, ich sei bereit für die nächste Bearbeitungsstufe, sah er zwischen mir und den Formularen hin und her, und sein Lächeln war ganz das eines Menschen, der zu Weihnachten ein kostbares Geschenk auspackt, das er schon hat.

§ 23
    Traum: Ich sehe reihenweise perspektivisch verkürzte Gesichter, auf denen wie der Widerschein ferner Feuer schwache Emotionen flackern. Die beschauliche Hoffnungslosigkeit des Erwachsenendaseins. Die komplexe Reue. Ein oder zwei, die lebendigsten, sehen auf gegenstandslose Weise besser aus. Viele andere sind so ausdruckslos wie Gesichter auf Münzen. An den Rändern wuseln Büroangestellte im Zuge ihrer Quisquilien herum – Korrespondenz, Ablage –, Gesichter von ausdruckslosem Eifer, gefüllt mit der hirnlosen Energie, die sich an Käfern, Unkraut und Vögeln beobachten lässt. Der Traum scheint sich über Stunden hinzuziehen, aber als ich aufwache, stehen Supermans Arme (die Uhr war ein Geschenk) noch in derselben Position wie das letzte Mal, als ich einen Blick darauf geworfen habe.
    Der Traum war meine Psyche, die mich das Wesen der Langeweile lehrte. Ich glaube, als Kind habe ich mich sehr oft gelangweilt, auch wenn ich damals nicht wusste, dass es Langeweile war – ich wusste, dass ich mir oft Sorgen machte. Ich war ein mürrischer, nervöser, verunsicherter und besorgter Junge. Das waren die Ausdrücke meiner Eltern, und ich übernahm sie. Nasse, endlose Sonntagnachmittage, an denen meine Mutter mit meinem Bruder bei einem Konzert war, mein Vater mit dem aufgeschlagenen Libretto von Norma auf der Brust vor einem Spiel der Bengals auf dem Sofa eingeschlafen war und ich den überhandnehmenden, grenzenlos weiten Überdruss spürte, der allen Überdruss übersteigt und Sorge wird. Ich weiß nicht mehr, warum ich mir Sorgen machte, aber ich kann mich an das Gefühl erinnern, und es war eine Sorge, die in Ermangelung eines richtigen Ziels noch schrecklicher, freischwebender wurde. Ich sah aus dem Fenster, sah aber nur das Glas, nichts dahinter. Ich