Der bleiche König: Roman (German Edition)
bewohnt, weil er den Mietvertrag unterschrieben hatte, aber in Feldunterkünften bekam Reynolds immer das größere. Von den erbärmlichen Verhältnissen in Angler’s Cove mal abgesehen, hatten die Zimmer diesmal genau dieselbe Größe; der Türabstand war nicht das Einzige, was Claude gemessen hatte, und er wusste, welche Miene Reynolds aufsetzen würde, wenn er das sah. Merrill Errol Lehrl kümmerte sich immer selbst um seine Unterkunft.
»Hat Glendenning selbst das Memo geschickt oder seine Sekretärin?«
Sylvanshine hielt den Daumen ins Licht der Deckenbeleuchtung und drehte ihn hin und her. »Nicht zu fassen, wie heiß es hier ist. Und drückend. Die Luft ist, als würde dir jemand ins Gesicht atmen. Damit war Philly nicht mal am schlimmsten Sommertag zu vergleichen. Die Wasserspender in 047 haben keine Kühlung; das sind niedrige Wasserspender aus weißem Toilettenemaille wie in der Grundschule, und das Wasser hat Zimmertemperatur, ist also heiß.«
Reynolds atmete so aus, dass man es durchs Telefon hören konnte. »Tut mir leid, der Ton, Claude.«
»Welcher Ton?«
»Alles klar? Jetzt besser?«
»Du überschätzt mich, mein Freund.«
»Ja, ich bin dein Freund. Wir sind ein Team. Ich hätte dir nicht in diesem Ton für Kulis die Daumenschrauben anlegen sollen. Ich stehe diese Woche einfach unter Hochdruck. Hab schon die ganze Woche diese Spannungskopfschmerzen. Fühl mich gar nicht gut. Das ist alles keine Entschuldigung, aber ich möchte mich wirklich entschuldigen.«
Wenn es Richtlinien gab, waren sie nicht zu erkennen. »Hat die Sekretärin oder Chefsekretärin geschickt, fürchte ich. Oooley, Carolyn oder vielleicht auch Caroline. Akte noch nicht ausfindig gemacht, im Supportverteiler ist sie nicht. Knackige kleine Frau, trockenes, straffes Gesichtchen. Sweater wie ein Cape über den Schultern. Das Hauptgebäude ist klimatisiert bis dort hinaus; da liegt die Prüfabteilung, also kannst du Mel die gute Nachricht überbringen, dass das Arbeitsumfeld selbst klimatisiert ist, allerdings keine Halonanlage hat. Der VAX -Raum hat aber eine, also können wir davon ausgehen, dass die Support Services das nötige Kleingeld haben; wenn du willst, kann ich mal anrufen und –«
»Das Memo war also von der Sekretärin und nicht von Glendenning selbst.«
»Ich würde Mel nahelegen, das nicht überzubewerten. Glendenning war zwei von drei Tagen weg. Der war seit letzten Mittwoch zweimal oben in der Regionalzentrale.«
»Der rennt jetzt schon ständig in die Zentrale? Und damit kommst du jetzt erst an und dann auch noch in einer Nebenbemerkung zum Sweater der Sekretärin?«
»So wie die alle auf ihren Schreibtisch zugehen, muss sie beeindruckend sein, diese Oooley. Du weißt doch, wie das bei diesen Landpomeranzen ist. Vielleicht nimmt sie Glendenning an die Kandare; vielleicht ist sie die eigentliche Anlaufstelle. Kleines Katzenfoto auf dem Schreibtisch, aber keine Katzenhaare auf dem Sweater. Seltsam. Und die Brille an einem Kettchen um den Hals, so einer altmodischen Silberkette, das Wort liegt mir auf der Zunge. Potenziell ein beeindruckender Teil der Gleichung. Bisher hab ich sie nach der Katze gefragt und ihr eine Blume mitgebracht, die auf dem Mittelstreifen der Hauptstraße hier rausverkauft werden. In diese komatöse Vorstadt raus. Sag Mel, ich bearbeite sie schon.« Dass die Blume am Tag darauf nicht mehr auf ihrem Schreibtisch stand, sagte er Reynolds nicht.
Der ließ Sylvanshine wieder sein Atmen hören – »Und erwähnte das Memo speziell, Gutes von Henzke, von Bill oder von Bill Henzke gehört zu haben?«
»Nur Henzke.«
»Mist.«
»Die andere Sekretärin, Verbindungsfrau oder was weiß ich, ist weg. Angeblich jung und die Sahneschnitte des Bezirks, zwei verschiedene Typen aus der Abt. Inkasso haben gesagt, das bringt’s, sich was Dienstliches aus den Fingern zu saugen und anzutanzen, wenn Oooley zu Tisch ist, nur um ihre Augenweiden abzugrasen.«
»Ich hab mich schon entschuldigt, Claude.«
»Roseburys Sekretärin ist eine große, kreidebleiche Frau namens Bernays. Sieht aus wie der Geist eines Biergauls.«
Jedes Mobiltelefon von Motorola kostete den Service dreihundertneunundvierzig Dollar gegenüber einem Einzelhandelspreis von dreihundertundachtzig Dollar, sah aus wie ein überdimensioniertes Walkie-Talkie, wog über zwei Pfund und war ein Accessoire, mit dem ein eleganter und zierlicher Mann wie Reynolds Jensen jr. immer etwas albern aussah.
»Gut. Gehen wir die Woche doch mal
Weitere Kostenlose Bücher