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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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gut.
    Nun lasse ich mir gesagt sein, dies gehe am Kern der Sache vorbei, denn entscheidend sei vielmehr: Stellen Sie sich meine Überraschung und Beklommenheit vor, als ich, nachdem ich die Dokumentenmappe, die Doberman-Handpuppe, das Tischnamensschild, den Hut, die persönliche Habe, das Service-Notizbuch, den erweiterbaren Pappdeckel mit Hollerithkarten, die M1-Ausdrucke, 20er Memos, 520er, 1120er sowie Blankoformulare und mindestens zwei fette Aktenordner mit Gegenproben und Quittungsbestellscheinen in das Büro des Gruppenmanagers gebracht hatte und mich – wobei ich Garys abschreckendes Kind, das immer noch sein Mittagslätzchen trug und auf eine Weise, die ich nur lernbegierig oder kontemplativ nennen kann, in seinem Spielkreis aus Plastik stand Schrägstrich saß und auf einem flüssigkeitsgefüllten Ring herumkaute, möglichst wenig ansah – gerade wieder genug konzentrieren konnte, um eine Liste der vorbereitenden Quittungen und Beleganforderungen eines Anbieters zu erstellen, der Metallhenkel für die verzinkten Eimer von Danville’s Midstate Galvanics Company herstellte und montierte, das unverkennbar erwachsene, wenn auch in einer sehr hohen Tonlage vorgebrachte Geräusch eines Räusperns hörte, als hätte ein Erwachsener gerade Helium aus einem Schmuckballon inhaliert. Das Kind war wie Gary Manshardts Frau ein Rotschopf, in seinem Fall nahmen der feine Flaum und die Haarsträhnen durch die extreme Blässe sowie das Hellgelb des Pyjamas oder Strampelanzugs – oder wie genau man die kleinen und flauschigen Ganzkörper-Bodysuits aus Wildleder mit Druckverschlüssen nennt, die Kleinkinder heutzutage tragen – im grellen Bürolicht allerdings die Farbe alten Bluts an, und seine grimmigen und konzentrierten blauen Augen hatten jetzt fast gar keine Pupillen mehr; um das unpassende Bild des Grauens abzurunden, hatte das Kind den Beißring beiseitegelegt – geradezu sorgfältig und wohlüberlegt, wie ein Mann eine Akte auf dem Tisch ablegt, deren Prüfung er abgeschlossen hat, bevor er seine professionelle Aufmerksamkeit der nächsten zuwendet –, der jetzt feucht glänzend neben einem aufrecht stehenden Fläschchen lag, das augenscheinlich Apfelsaft enthielt, und seine Händchen hatte es auf dem strahlend blauen Plastik seines Spielkreises auf erwachsene Weise gefaltet
Anmerkung
, genau wie Mr Manshardt, Mr Fardelle oder ein anderer Gruppenmanager oder leitender Angestellter des Bezirksdirektors die gefalteten Hände vor sich auf den Tisch legten, um zu signalisieren, dass man mitsamt dem Problem, das einen in ihr Büro gebracht hatte, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, und räusperte sich erneut – denn es war tatsächlich es, er, das Kleinkind gewesen, das sich wie jeder Gruppenmanager erwartungsvoll geräuspert hatte, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und mich gleichzeitig auf subtile Weise dafür zu tadeln, dass es Anstrengungen hatte unternehmen müssen, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als hätte ich mit offenen Augen geträumt oder wäre im Geiste von dem zur Debatte stehenden Problem abgeschweift, und es starrte mich grimmig an und sagte, ja, sagte mit einer hohen Stimme unverkennbar:
    »Nun?«
    Heute halte ich es für wahrscheinlich, dass es meine erste Schockreaktion war, gewissermaßen meine Konsternation darüber, auf so erwachsene Weise von einem Kleinkind in Windeln und mit einem vollgesabberten Pyjamaärmel angesprochen zu werden, aus der ich automatisch die Antwort gab, die ich auf jedes erwartungsvolle »Nun?« eines Service-Vorgesetzten gegeben hätte, ja, ich lief auf Autopilot:
    »Wie bitte?«, sagte ich, und wir starrten uns über unsere holzgemaserten bzw. leuchtend blauen Flächen und die zwei Meter Neonröhrenluft zwischen uns hinweg an, beide mit identisch gefalteten Händen, das Kind mit grimmig erwartungsvollem Blick und einem dünnen, cremigen Schleimfaden, der beim Atmen aus dem einen Nasenloch austrat und zurückgesogen wurde, es sah mich unverwandt an, der Haarwirbel auf seinem Scheitel erinnerte an ein Preisschild oder den Bon einer Registrierkasse, seine Augen waren wimpernlos und ohne Umrandung oder Grund, die Lippen hatte es aufgeworfen, als überlege es, wie weiter zu verfahren sei, und in seinem Saftfläschchen, dessen herausragender brauner Sauger vom kürzlichen Gebrauch glänzte, stieg träge und gemächlich ein Bläschen an die Oberfläche. Und der Augenblick schwebte zwischen uns, grenzenlos und weit, ich unterdrückte den Impuls, mich

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