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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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    BEECHER FOUNDATION
     
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    »DER FEIGLING FLIEHT, OHNE DASS IHN EINER JAGT« –
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    »WAS IMMER DU TUN KANNST ODER ERTRÄUMST ZU KÖNNEN, BEGINNE ES. KÜHNHEIT BESITZT GENIE, MACHT UND MAGISCHE KRAFT. BEGINN ES JETZT« – GOETHE
    usf., Dutzende und Aberdutzende inspirierender Zitate und Mahnungen, in Blockbuchstaben sorgfältig auf glückskeksgroße Zettelchen gedruckt und an den Spiegel geklebt als Erinnerungen daran, dass der Vater selbst dafür verantwortlich war, ob er sich kühn in die Lüfte schwang, manchmal so viele Zettel und Klebestreifen, dass über dem Badezimmerwaschbecken nur noch ein paar schmale Streifen Spiegel zu sehen waren und der Vater sich fast schon verrenken musste, wenn er beim Rasieren sein Gesicht sehen wollte.
    Wenn der Vater des Jungen an sich selbst dachte, fiel ihm dagegen als Erstes immer das Wort gequält ein. Ein Gutteil dieser heimlichen Gequältheit – deren Gründe er für unglaublich komplex und vielgestaltig hielt, weil sie sowohl den normalen männlichen Geschlechtstrieb als auch abnormal ausgeprägte persönliche Schwächen und mangelndes Rückgrat umfassten – war eigentlich sehr leicht zu analysieren. Nachdem er mit zwanzig eine Frau geheiratet hatte, von der ihm nur ein hervorstechendes Merkmal bekannt gewesen war, hatte dieser Vater-in-spe die eheliche Pflichterfüllung praktisch vom ersten Tag an als nervtötend und erdrückend empfunden; und der Eindruck der Monotonie und der sexuellen Pflichten (im Gegensatz zu sexuellen Triumphen) hatte in ihm dasselbe Gefühl hervorgerufen, das seiner Meinung nach der Tod hervorrufen musste. Schon als frischgebackener Ehemann hatte er unter Nachtängsten zu leiden begonnen und war aus Albträumen so schrecklicher Beengtheiten hochgeschreckt, dass er das Gefühl hatte, er könne sich nicht bewegen und bekäme keine Luft. Diese Träume bedurften zu ihrer Interpretation nicht gerade eines Einsteins der Psychiatrie, wusste der Vater, und nach einem knappen Jahr der inneren Kämpfe und der komplexen Selbstanalyse war er eingeknickt und hatte ein sexuelles Verhältnis mit einer anderen Frau begonnen. Diese Frau, die er bei einem Motivationsseminar kennengelernt hatte, war ebenfalls verheiratet und hatte ein junges Kind, und beide hatten eingesehen, dass das der Affäre gewisse vernünftige Grenzen und Einschränkungen auferlegte.
    Schon nach kurzer Zeit fand der Vater aber auch diese zweite Frau irgendwie nervtötend und erdrückend. Die Tatsache, dass sie getrennte Leben führten und kaum gemeinsame Gesprächsthemen hatten, machte aus dem Sex etwas Verpflichtendes. Der Geschlechtsverkehr bekam dadurch zu viel Gewicht, hatte es den Anschein, und das verdarb ihn. Der Vater versuchte, die Sache abzukühlen und die Frau seltener zu treffen, woraufhin sie ihrerseits weniger interessiert und zugänglich schien als zuvor. Und das war der Beginn der Qual. Der Vater bekam Angst, die Frau würde die Affäre mit ihm beenden, entweder um den monogamen Sex mit ihrem Ehemann wieder aufzunehmen oder sich mit einem anderen Mann zu liieren. Diese Angst, die eine absolut geheime und innere Qual war, führte dazu, dass er der Frau wieder mehr nachsetzte, obwohl er sie mehr und mehr verachtete. Kurz gesagt, der Vater hätte sich zu gern von der Frau getrennt, wollte aber nicht, dass sie sich trennen konnte. Er fühlte sich zunehmend betäubt, ja ihm wurde fast schlecht, wenn er mit der anderen Frau zusammen war, aber wenn sie nicht zusammen waren, quälte ihn der Gedanke, sie könne bei einem anderen Mann sein. Es war eine unhaltbare Situation, und er träumte wieder immer öfter von verkrümmten Erstickungszuständen. Die einzige mögliche Abhilfe, die der Vater (dessen Sohn gerade vier geworden war) sehen konnte, war, sich nicht von der Frau zu trennen, mit der er eine Affäre hatte, sondern pflichtbewusst durchzuhalten, dafür aber insgeheim und quasi »nebenbei« mit einer dritten Frau ein Verhältnis anzufangen, um – und sei es auch nur für kurze Zeit – das Gefühl der Erleichterung und Aufregung einer freiwillig eingegangenen Bindung zu haben.
    Und so begann der wahre Leidenszyklus des Vaters, in dem die Zahl der Frauen, mit denen er insgeheim verbandelt war und denen gegenüber er sexuelle Verpflichtungen hatte, ständig stieg, ohne

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