Der bleiche König: Roman (German Edition)
gemacht habe, das zu bekommen, was ich nach meiner eigenen Überzeugung brauche und verdient habe, also kann ich ewig sauer sein und auf Dauer glauben, mein wahres Problem wäre, dass niemand mein wahres Ich so sehen und lieben kann, wie ich das brauche, also werde ich ewig mein Problem behalten und streicheln können und mir einreden, es wäre mein wahres Problem.« Rand sieht ruckartig zu Shane Drinion hoch. »Hört sich das banal an?«
»Ich weiß nicht.«
»Für mich irgendwie schon«, sagt Meredith Rand. »Ich sagte ihm, das fände ich wahnsinnig hilfreich, und wenn ich aus dem Zeller entlassen würde, wüsste ich jetzt, was ich zu tun hätte, nämlich die Hacken zusammenschlagen, die Diagnose in Heilung überführen, und wie ich ihm dafür bloß jemals danken sollte.«
Drinion sagt: »Du warst sehr sarkastisch.«
»Ich war stocksauer!«, sagt Meredith Rand und wird laut. »Ich sagte ihm, siehe da, es hätte ganz den Anschein, als wäre er letztlich auch nicht anders als die Diagnose-ist-Heilung-Ärzte in ihren schicken Anzügen, nur dass seine Diagnose obendrein beleidigend wäre, aber das würde er wohl Ehrlichkeit nennen und zusätzlichen Spaß daran haben, den Menschen wehzutun. Ich war echt stocksauer! Und er lachte und meinte, er wünschte, ich könnte mich jetzt sehen – er konnte mich sehen, weil er ja lag und ich über ihm stand, denn alle fünfzehn Minuten oder so musste ich ihm ja hochhelfen, damit er in den Flur zurückschleichen und seine Kontrollrunde mit dem Klemmbrett drehen konnte. Er sagte, ich sähe wie ein kleines Kind aus, dem man sein Spielzeug weggenommen hat.«
»Was dich wahrscheinlich noch wütender machte«, sagt Drinion.
»Er sagte dann sinngemäß, na gut, okay, er würde es erklären, als spräche er mit einem Kind, mit einer Frau, die so tief in ihrem Problem feststeckte, dass sie nicht einmal sähe, dass es ihr Problem wäre und nicht einfach nur der Lauf der Welt. Ich wollte für mehr als nur meine Schönheit gekannt und gemocht werden. Ich wollte, dass die Leute durch die Schönheit und den Sex-Appeal hindurchsähen und mich als Menschen sähen, und ich war wütend und bemitleidete mich, weil die Leute das nicht machten.«
In der Kneipe sieht Meredith Rand kurz zu Drinion hoch. »Nicht unter die Oberfläche schauten«, sagt er, um zu zeigen, dass er versteht, was sie meint.
Sie legt den Kopf schief. »Aber in Wahrheit war alles Oberfläche.«
»Deine Oberfläche?«
»Ja, denn unter der Oberfläche gab es nur all diese Gefühle und Konflikte wegen der Oberfläche und Wut darauf, wie ich aussah und welche Wirkung ich auf Menschen ausübte, und im Inneren tobte immer nur dieser ständige Koller, weil ich nicht gerettet wurde, was nur an meiner Schönheit lag, die, wie er sagte, eigentlich unattraktiv wäre, wenn ich’s mir mal genau überlegte – niemand will viel mit jemandem zu tun haben, in dem ständig dieser Koller tobt. Wer will das schon?« Rand macht eine Art ironische Ta-da!-Geste in der Luft. »Und deswegen, sagte er, hätte ich es für mich so gedeichselt, dass der einzige Grund, warum sich jemand überhaupt von mir angezogen fühlen könnte, meine Schönheit war, was ja genau das war, was mich so sauer und traurig und einsam machte.«
»Das hört sich nach einer psychologischen Falle an.«
»Sein Vergleich war, dass er mich mit einer Maschine verglich, die einem jedes Mal einen Elektroschock verpasst, wenn man ›Au!‹ sagt. Er wusste natürlich, dass ich diese Maschinenträume hatte. Ich weiß, dass ich ihn bloß mit diesem Todesstrahlenblick angekuckt habe, den alle Sahneschnitten an der Schule irgendwann draufhaben; wenn Blicke töten könnten, bräuchte der andere dann einen Leichenwagen. Er lag mit den Füßen auf der Treppe, während er das alles sagte. Seine Lippen waren bläulich verfärbt, die Kardiomyopathie wurde immer schlimmer, und die Treppen im Zeller hatten dieses grauenhafte Neonröhrenlicht im Treppenhaus, in dem er noch schlimmer aussah; er war nicht mal mehr bleich, sondern schon grau, mit dieser irgendwie schaumigen Paste in den Mundwinkeln, weil er ja nicht aus seiner Wasserdose trinken konnte, wenn er auf dem Rücken lag.« Sie hat einen Blick, als sähe sie ihn jetzt wirklich wieder in situ im Treppenhaus vom Zeller vor sich. »Mal ganz im Vertrauen, er sah krass aus, beängstigend, abstoßend, wie eine Leiche oder wie diese gestreiften Leute auf Fotos aus Konzentrationslagern. Das Abgefahrene war, ich hatte ihn gern und fand ihn
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