Der bleiche König: Roman (German Edition)
selber bloß nicht eingestehen, was ich für ihn empfand. Wobei ich zugeben muss: Heute bin ich mir nicht mehr so sicher«, sagt Meredith Rand. »Verheiratet zu sein, ist etwas ganz anderes, als siebzehn zu sein, in einer totalen Identitätskrise zu stecken und jemanden zu idealisieren, der einen anscheinend wirklich wahrnimmt und mag.« Jetzt sieht sie sich selbst viel ähnlicher. »Aber er war der erste Typ, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er mir die Wahrheit sagte, dass er keine Hintergedanken hatte, dass er nicht posierte, Schweißausbrüche bekam und eingeschüchtert war, sondern wirklich und wahrhaftig mich sehen und kennenlernen und mir einfach die Wahrheit über das sagen wollte, was er sah. Und er kannte mich ja wirklich – du weißt ja, er hatte mir das alles über meine Mom und den Nachbarn erzählt, was absolut niemand wusste.« Ihr Gesicht wird wieder härter oder strafft sich, sie sieht Drinion direkt an, eine Zigarette zwischen den Fingern, die sie aber nicht anzündet. »Ist das jetzt eine von den Passagen, die ich deiner Meinung nach immerzu wiederhole?«
Drinion schüttelt leicht den Kopf und wartet darauf, dass Meredith Rand fortfährt. Die hyperattraktive DISTELPRÜ betrachtet ihn aber nur eingehend.
Drinion sagt: »Nein. Ich glaube, das ursprüngliche Thema der Geschichte war deine Heirat. Eine Heirat setzt üblicherweise gegenseitige Anziehung und romantische Emotionen voraus, also ist das erstmalige Erwähnen deiner Bereitschaft, eine romantische Anziehung zuzulassen, eine neue Information und damit sehr relevant.« Seine Miene ist unverändert geblieben.
»Es ist also nicht langweilig.«
»Nein.«
»Und du selbst hast noch nie eine romantische Anziehung gefühlt.«
»Nicht dass ich wüsste, nein.«
»Aber wenn du sie mal fühlen solltest, wärst du dir dessen dann bewusst?«
Drinion: »Das nehm ich doch an, ja.«
»Dann ist deine Antwort aber ein bisschen schlitzohrig, oder?«
»Ja, wahrscheinlich«, sagt Drinion. Später fällt ihr auf, dass er kein bisschen gestutzt hat. Anscheinend nimmt er einfach nur Informationen auf und fügt sie denen hinzu, die er schon hat. Und dass das Tableau der verschiedenen Hüte an der Wand hinter ihm bis auf den Schirm einer Schiffermütze in der obersten Reihe zuletzt völlig verdeckt war (darüber denkt Rand nicht richtig nach, aber es macht einen Teil ihrer sinnlich-konkreten Erinnerungen daran aus, wie sie sich über Drinion lustig gemacht hat, weil er dann immer so seltsam reagierte, und sie konnte sich mehr oder weniger nach Belieben über ihn lustig machen, weil er in mancher Hinsicht so ein absoluter Fachidiot und Schnarchsack war).
»Na jedenfalls«, macht Meredith Rand. Sie hat das Kinn in dieselbe Hand gestützt, die die nicht angezündete Benson & Hedges hält, was alles andere als bequem aussieht. »Ich weiß also noch, dass ich ihm am letzten Abend im Lastenaufzug nicht richtig zugehört habe und auf das, was er gesagt hat, nicht richtig eingegangen bin, weil ich mit diesen ganzen widerstreitenden Gefühlen in mir zu kämpfen hatte, die damit zu tun hatten, dass ich mich von ihm angezogen fühlte, und außerdem bin ich innerlich durchgedreht, als ich gehört hab, dass ich ihn nie wiedersehen würde, denn die Abmachung war, dass ich zu einer ambulanten Gesprächstherapie gehen würde, aber die war im ersten Stock, wo die ganzen Ärzte ihre eigentlichen Sprechzimmer hatten, und er hatte nur nachts und im zweiten Stock Dienst, und das war eine geschlossene Abteilung. Schon bei dem Gedanken, dass ich gar nicht wusste, wo er wohnte, hab ich richtig Angst gekriegt. Außerdem wusste ich, dass er kurz vor dem Rausschmiss stand, weil er kaum noch seine Kontrollgänge machen konnte, und es hatte Probleme mit der einen Bulimietante gegeben, weil die gekotzt und er nicht bei ihr kontrolliert hatte, und außerdem wusste ich, dass er den Zeller-Leuten nichts von seiner Gesundheitskiste erzählt hatte, also der Kardiomyopathie, die so, wie es sich anhörte, bei seiner Einstellung mehr oder weniger unter Kontrolle gewesen war, dann aber immer schlimmer geworden war –«
»Aber dir hatte er von der Kardiomyopathie doch noch immer nichts gesagt.«
»Stimmt, aber egal jetzt, die Zeller-Leute hatten davon jedenfalls keine Ahnung, die dachten einfach, er würde mit seiner Gesundheit Raubbau treiben oder wäre verkatert oder faul, irgend so was Schreckliches. Also, ich hatte sie schon nicht mehr alle und hab überlegt, wie es wär, wenn ich jetzt
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