Der bleiche König: Roman (German Edition)
einfach meinen Anstaltskittel auszieh und hier direkt mit ihm rummach, lässt er mich dann machen, oder findet er das krass oder lacht mich aus, und wie kann ich ihn bloß wiedersehen und den intensiven persönlichen Austausch fortsetzen, wenn ich da raus bin und zu Mom und an die Central Catholic zurückmuss, und was ist, wenn ich ihm sage, dass ich ihn liebe, und was ist, wenn er stirbt, wenn ich hier weg bin, und ich weiß nicht mal, dass er tot ist, weil ich nicht weiß, wie er heißt und wo er wohnt. Mir ging durch den Kopf, dass ich nicht mal wusste, was er für mich empfand, wirklich für mich und nicht nur für irgendein Mädchen, dem er half, also ob er mich eigentlich interessant oder intelligent oder hübsch fand. Irgendwie wollte es mir nicht in den Kopf, dass jemand, der mich anscheinend so gut verstand und mir die Wahrheit sagen konnte, mich nicht auf eine besondere Art und Weise mochte.«
»Du meinst romantische Gefühle entwickelte.«
Rand zieht nur kurz die Augenbrauen hoch. »Er war schließlich ein Mann. Also ... und dann ging mir auf, dass ich genau das machte, was seiner Meinung nach mein Hauptproblem war – ich dachte an ihn und wollte ihn nicht verlieren, weil er mich retten konnte, aber halten konnte ich ihn nur über sexuelle Gefühle, weil ich nichts anderes zu bieten hatte.
Na und dann hat er mir irgendwann ein Quiz zu all den Themen gegeben, die wir behandelt hatten. Das war ein Witz, aber auch wieder nicht.« Sie zündet sich endlich die Zigarette an. »Später gestand er, dass er wirklich gedacht hatte, an diesem Anfall seiner Kardiomyopathie sterben zu müssen – wie sich herausstellte, bekam er manchmal tagelang nicht richtig Luft, als würde er laufen, auch wenn er bloß dalag; seine bläulichen Lippen hatten ihren Grund –, und er wäre ziemlich sicher gewesen, er würde mich nie wiedersehen und nie wissen, ob er mir eigentlich geholfen hatte, er wollte sich vor seinem Tod nur vergewissern, dass er jemandem ein bisschen geholfen hatte. Und ich bin natürlich einfach ausgerastet, ich wusste nicht mal, was besser war, um ihn wiederzusehen: das Quiz mit links schaffen oder durchrasseln. Auch wenn er so tat, als wäre das Quiz ein reiner Witz, als wäre ich ein Kind, das von seiner Kindergärtnerin spielerische Testfragen vorgelegt bekommt. Er konnte das richtig gut: zugleich ernst sein und sich selbst auf den Arm nehmen – das war einer der Gründe, warum ich ihn geliebt habe.«
Drinion: »Geliebt habe ?«
»Frage eins beispielsweise: ›Was haben wir über das Ritzen gelernt?‹. Und ich habe gesagt, wir haben gelernt, dass es keine Rolle spielt, warum ich mich ritze oder welcher psychologische Apparatismus hinter dem Ritzen steckt, also ob das jetzt projizierter Selbsthass ist oder was. Die Veräußerlichung des Inneren. Wir haben gelernt, eine Rolle spielt nur, es nicht mehr zu tun. Mit dem Ritzen ist jetzt Sense. Keiner kann mir beim Aufhören helfen; den Entschluss muss ich allein treffen. Denn egal, was die Fachpsychiatrie dazu sagt, es tut mir weh, ich tu mir weh, und das ist kindisch. Es bedeutet, dass du dir keinen Respekt entgegenbringst. Du kannst nur fies zu dir sein, wenn du tief in dir drin erwartest, jemand würde herbeigaloppiert kommen und dich retten, was ein Kindertraum ist. Realität bedeutete, definitiv niemand sonst würde nett zu mir sein oder mich mit Respekt behandeln – das war der Dollpunkt seiner These vom Erwachsenwerden: das einzusehen –, und definitiv niemand sonst würde mich so sehen und behandeln, wie ich gesehen werden wollte, also lag es an mir, dafür zu sorgen, dass ich mich als wertvoll ansah und behandelte. Das nennt sich verantwortungsbewusst im Gegensatz zu kindisch. Die wahre Verantwortung hat man sich selbst gegenüber. Und wenn es u. a. bedingte, mein Aussehen zu mögen, damit ich mich tief in mir drin für wertvoll halten konnte, dann war das okay. Ich konnte meine Schönheit mögen, ohne dass die Schönheit für mich das Einzige wäre, was für mich sprach, und ohne mich zu bemitleiden, wenn die Leute wegen meiner Schönheit überschnappten. Das war meine Antwort bei dem Quiz.«
Shane Drinion: »Wenn ich es richtig verstehe, lief deine tatsächliche Erfahrung allerdings darauf hinaus, dass jemand anders nett zu dir war und dich wertvoll fand.«
Rands Lächeln sieht so aus, als würde sie sich selbst zum Trotz lächeln. Und sie raucht ihre Zigarette sorgfältiger, sinnlicher. »Ja, stimmt, das dachte ich damals auch, als ich im
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