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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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erstaunliche Geschichte von Ertragsagent Shane Drinion, GS-13, IRS-Branche Technische Revision 44/42/04, hören wollen, sind Sie auf ein beschränktes narratives Bewusstsein angewiesen, auf einen Mann der »Tat« und nicht des »Kopfes«, einen »ergebnisorientierten« und »zupackenden« »Macher« und »Pragmatiker« voller »Eigeninitiative« (alle Begriffe in Anführungszeichen aus diversen Jahres-Performance-Überprüfungen von Vorgesetzten sowohl in der Inkasso- als auch der IA -Abteilung), der von Anfang an fest entschlossen war, zu fressen und etwas zu erreichen, aktiv und nicht passiv zu sein. Ich denke nicht viel: Denken lähmt. Privatpersonen überrascht es vielleicht, dass der IRS Schläger braucht, Tatmenschen – im Klischee besteht der IRS aus grauen Duckmäusern mit Krawatte, Legionen von in der Kindheit Schikanierten, die einen jetzt ihrerseits im Schutze des Gesetzes und mit humorloser Präzision schikanieren. In der Prüfabteilung kommt dieser Persönlichkeitstyp durchaus vor. Ich war aber in der Inkassoabteilung. Wenn es hart auf hart kam und ein Steuerzahler sich schlicht und einfach weigerte, das zu zahlen, was dem Staat der Prüfabteilung zufolge von Rechts wegen zustand – dann musste jemand loslegen. Schläger. Männer der Tat. Im Schutz des Gesetzes – hinter ihm verschanzt.
    Ich könnte auch meine eigene Geschichte erzählen. Werd ich aber nicht. Bin ich nicht der Typ für. Als Baby neigte ich zu Koliken und saugte so gierig, dass meine Mutter mich aus Selbstschutzgründen früh abstillte. Als Kleinkind litt ich unter »Impulskontrollstörungen«, und man sah »Verbesserungsbedarf« sowohl bei der »Konfliktbewältigung« als auch bei der »Interaktionskompetenz«. Als Kind war ich ein Tyrann. Und wie alle Tyrannen hatte ich Anhänger – die aus Angst, sonst der Nächste zu sein, zu mir hielten, mich aber verachteten und dem dünnen Grat zwischen drinnen und draußen hörig waren, zwischen Fressen und Fraß. Ich verhöhnte ungebräuchliche Namen und vom Pech verfolgte Gesichter und Körper. Kleine Erpressungen, Demütigungen in der Cafeteria, Schulhofprügeleien, die praktisch sofort entschieden waren – die Tränen des Opfers nach dem ersten Schlag, die von allen gesehenen und bejohlten Tränen waren seine Niederlage und mein Fraß: Das verstand ich. Ab der Mittelstufe galt ich in den Bewertungen der Lehrer als »gestört« und hatte »ein geringes Selbstwertgefühl«, das ich »ausagieren« musste. Nichts davon stimmte. Ich war nur frühreif in meinem Weltverständnis, das nichts mit den Geschichten und Schaubildern zu tun hatte, die im Neonlicht der Klassenzimmer gelehrt wurden. Ich hatte durchaus pragmatische Intelligenz – ich verstand die Ökonomie der Macht. Ich war ein guter Sportler, und bei Schlaffis kannte ich keine Gnade.
    Ich war einschüchternd. Ich war vom ersten Tag in der Highschool an ein Schläger. Einschüchternd. Man ging mir lieber aus dem Weg. Zehnt- und sogar noch Elftklässler gaben mir nach oder machten einen Bogen um mich; die Schläger aus der Zwölften und ich behandelten uns gegenseitig wie Luft, eine spannungsreiche Neutralität, die eine Art unausgesprochenen gegenseitigen Respekts bildete. Ich war nicht besonders groß oder abnormal stark, und ich gehörte auch nicht zu den Psychotikern, die wir später kennenlernen, die keinen Sinn für Selbstschutz haben und, einmal angestachelt, immer wie ein wilder Stier drauflosgehen, fürchterliche Schläge einstecken und sich nichts draus machen, einfach um Schmerzen zuzufügen, der Typ, der beißt oder ein Bleirohr nimmt, der Typ, der im Knast landet und sich nicht mal genau erinnern kann, was er bei seinem Amoklauf angerichtet hat. Das sind keine Schläger. Das sind Psychotiker, Sklaven ihrer Wut – die sind am Ende immer die Opfer, inhaftiert oder nicht beschäftigungsfähig, Spinner, außerhalb der Macht.
    Das hier ist nicht meine Geschichte. Ich erzähle Ihnen von mir nur, was Sie wissen müssen, um das Sensorium richtig einschätzen zu können, mit dem die Geschichte von Revisionsbranche 44-04 vermittelt wird. Das bin ich Ihnen schuldig. Es ist mir ziemlich egal, ob Sie mich mögen – ich selbst kann Geschichtenerzähler nicht ab, denen es nur darum geht, gemocht oder für clever gehalten zu werden. Aufgemotzte Sprache, Bemerkungen und Witze auf Kosten der Figuren in der Geschichte – das ist doch alles Angeberei, die billigste Form der Manipulation. Aber ich glaube, da wir hier nun mal zusammen

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