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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Hügelaufwind angefacht wurde.
    Ihr Innenleben reich und multivalent. In romantischen Fantasien war sie es, die kämpfte und siegte und dann einen Gegenstand oder einen Menschen rettete, der in den Tagträumen nie Gestalt oder Namen annahm.
    Nach Houston war ihre Lieblingspuppe nur noch ein Puppenkopf gewesen, mit aufgedonnertem Haar und einem Gewindeloch, das mit einem Hals verschraubt werden konnte; sie war acht gewesen, als der Körper verloren ging und seither für alle Zeit ahnungslos im Unkraut auf dem Rücken lag, während der Kopf weiterlebte.
    Die Beziehungskompetenz der Mutter war unterentwickelt. Wahrheitsorientiertes oder kohärentes Sprechen gehörte nicht dazu. Die Tochter hatte gelernt, Handlungen zu trauen und Zeichen in Details zu lesen, von denen die meisten Kinder nichts ahnen. Dann war der zerfledderte Straßenatlas aufgetaucht und lag quer auf der in der Mitte gesprungenen Tischplatte, aufgeschlagen beim Heimatstaat der Mutter, und die Markierung ihres Geburtsorts war von einer eingetrockneten, von einem Blutfädchen durchspindelten Rotzspore verkrustet. Der Atlas blieb aufgeschlagen, ohne konsultiert zu werden; sie aßen drum herum. Nach fast einer Woche bedeckte ihn eine durch die kaputte Fliegengittertür hereingewehte Ascheschicht. Alle Trailer im Park wurden von Ameisen geplagt, die von irgendetwas in der Asche der Waldbrände angelockt wurden. Sie sammelten sich oben an der Stelle, wo sich in der Kochnische bei früherer Hitze die Verkleidung im Wurzelholzimitat gelöst hatte und nach außen bog, und von dort krabbelten zwei vaskuläre parallele schwarze Ameisenkolonnen herab. Sie standen an der eloxierten Spüle und aßen aus Dosen. Zwei Taschenlampen und eine Schublade mit diversen Kerzenstummeln, die die Mutter mit ihren Zigaretten mied, waren ihnen das Licht der Welt. In allen Ecken der Kochnische kleine Borax-Dosen. Wasser holten sie in Eimern vom Hahn in der Münzwäscherei, einem frei stehenden Trailer, aus dem seitlich Drähte hingen. Über den Verbleib des Eigentümers konnten auch die Parkältesten keine Auskunft geben, deren Gartenstühle von Asche unbelästigt im Kernschatten des Färbersumachs standen. Eine von ihnen, Mutter Tia, konnte wahrsagen, ledrig und zittrig, mit einem Gesicht wie eine enthülste Pekannuss in schwarzer Kukulle und mit zwei isolierten Zähnen wie stehen gebliebenen Pins auf der Bowlingbahn. Sie hatte ihre eigenen Karten und ein Brett, auf dem etwaige Asche weiß aussah, nannte sie Chulla und berechnete ihr nichts, weil sie angeblich Angst vor dem bösen Blick hatte, wenn das Mädchen sie mit dem Fernrohr aus einer zusammengerollten Zeitschrift durch das Loch im Fliegengitter beobachtete. Zwei gelbäugige Hunde, die nur noch aus Haut und Knochen bestanden, lagen hechelnd im Schatten des Färbersumachs und erhoben sich nur, um die Flugzeuge zu verbellen, die die Brände bekämpften.
    Die Sonne über ihnen wie ein Türspion ins selbstverzehrende Herz der Hölle.
    Aber es war ein weiteres Zeichen, dass sich Mutter Tia zu prophezeien weigerte, es aber nicht einfach ablehnte, sondern stattdessen unter dem näselnden Lachen der anderen Ältesten und Witwen im Schatten um Gnade flehte; niemand begriff, warum sie vor dem Mädchen Angst hatte, und sie verriet es nicht, die Unterlippe hinter den einen Zahn gestülpt, während sie immer wieder ein und denselben Buchstaben ins luftige Nichts vor sich schrieb. Sie würde ihr fehlen, und auch die Erinnerung an sie würde in Zukunft der Puppenkopf tragen.
    Die Beziehungskompetenz der Mutter war in diesem Ausmaß seit ihrer Zwangseinweisung ins Krankenhaus von University City, Missouri, unterentwickelt, wo die Mutter achtzehn Werktage lang Besuchsverbot gehabt hatte, und das Mädchen hatte sich in dieser Zeit dem Jugendamt entzogen und in einem herrenlosen Dodge geschlafen, dessen Türen sich mit einfach verbogenen Kleiderbügeln abschließen ließen.
    Das Mädchen betrachtete oft den offenen Atlas und die mit einem Niesen markierte Stadt. Auch sie war dort geboren worden, oder kurz vor der Stadt, die ihren Namen trug. Ihre zweite Erfahrung von der Art, die in ihren Büchern durch die gleichmütige Beschreibung immer so süß klang, hatte sie in dem herrenlosen Auto in University City, Missouri, gemacht, durch die Hand eines Mannes, der wusste, wie man einen Bügel mit dem gerade gebogenen Haken eines zweiten entfernte und ihrem Gesicht unter seinem fingerlosen Fäustling dann erklärte, es gäbe zwei Möglichkeiten, wie

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