Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
wusste, dass man, wenn man über eine äußerste Not hinaus war, knapp über der Angst schwebte und sie beobachten konnte, ohne zu blinzeln, während man tat, was getan werden musste oder was einen am Leben erhielt.
    Der Junge aus dem Trailerpark, der ihr im Gestank ihrer eigenen Abwässer zugesetzt hatte, versammelte sich jetzt abends mit seinen Kumpeln vor dem Trailer, sie schlichen herum und gaben im Ascheregen unmenschliche Laute von sich, während die Tochter der Tochter um ihren Taufnamen auf der Karte und die zu ihm führenden Verkehrsadern konzentrische Kreise zog. Die Gipsfeuer und das erleuchtete Parkschild waren die Pole der Wüstennacht. Die Jungen rülpsten und jaulten den Mond an, und das Jaulen klang nicht die Spur echt, und ihr Lachen war gezwungen, und Worte zählten nicht für die Liebe, die sie angeblich schwellen ließ und die das Mädchen in Hülle und Fülle heimsuchen würde.
    Wenn die Mutter männerbedingt abwesend war, ließ sich das Mädchen Kataloge und Gratisproben schicken, und täglich bekam sie mit der Post Muster von Produkten, die sich Menschen mit einem Haus kauften, um sich in ihrer Freizeit daran zu erfreuen, ganz wie das Mädchen, das sich als privat unterrichtet ansah und nicht zusammen mit den anderen Kindern aus dem Park im Schulbus saß. Diese anderen hatten das betäubt-schmutzige Aussehen derer, die an einem Ort arm sind; die Trailer, Verkehrsschilder und vorbeifahrenden Laster bildeten das Mobiliar ihrer Welt, die sich drehte, aber nie änderte. Das Mädchen stellte sich oft vor, wie sie in einem Rückspiegel kleiner wurden, beide Arme zum Abschied winkend.
    Warf man einen Streifen sorgfältig zerschnittener Asbeststoffe in den Münztrockner, wenn die Mutter des Möchtegernvergewaltigers ihre Wäscheladung eingefüllt hatte und sich am Kiosk noch ein Bier gönnte, bekam man weder Jungen noch Mutter außerhalb ihres auf Blöcken stehenden Doppelbreiten zu sehen. Auch die Abendständchen der Jungen hörten auf.
    Stellt man eine Suppendose Fäkalien oder legt man ein überfahrenes Tier unter die Blöcke oder das plastifizierte Gitter des Fertigvorbaus eines Trailers, so befällt und füllt den besagten Trailer eine wahre Schmeißfliegenpest. Ein Schatten spendender Baum lässt sich aus dem Weg räumen, indem man eine Handbreit über dem Boden ein kurzes Kupferrohr in seinen Stamm treibt; seine Blätter machen sich daraufhin unverzüglich an die Bräunung. Der Trick bei einer Brems- oder Benzinleitung ist, sie mit einer Abisolierzange anzuschneiden, aber nicht ganz zu durchtrennen. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl. Fünfzehn Gramm Tütchenzucker im Benzintank legen jedes Fahrzeug lahm, sind aber keine Kunst. Das Gleiche gilt für einen Cent im Sicherungskasten oder rote Farbe im Frischwassertank eines Trailers, an den man über die Entsorgungsklappe rankommt, außer bei den Trailermodellen vom Vorjahr, von denen es im Park von Vista Verde aber keine gibt.
    Im einen Auto gezeugt und im nächsten geboren. In Träumen kroch sie heran und sah zu, wie sie empfangen wurde.
    Die Wüste kannte kein Echo, darin glich sie dem Meer, aus dem sie kam. Nachts hörte man manchmal weit weg die Geräusche der Brände, der kreisenden Flugzeuge oder der Fernfahrer auf dem 54 nach Santa Fe, deren Reifenklagen an die Lalationen ferner Brandung erinnerten; dann lag sie lauschend auf der Pritsche und stellte sich weder das Meer noch die vorbeibrausenden Lastwagen vor, sondern dachte sich jeweils etwas anderes aus. Im Gegensatz zur Mutter oder zur körperlosen Puppe war sie in ihrem Kopf frei. Ein ungebundenes Genie, größer als jede Sonne.
    Das Mädchen las eine Biografie von Hetty Green, der Muttermörderin und verurteilten Fälscherin, die die Börse beherrscht hatte, gleichzeitig Seifenstückchen in einer verbeulten Blechschachtel sammelte, die sie immer bei sich trug, und vor nichts und niemandem Angst hatte. Sie las Macbeth als farbigen Comic mit Dialogen in Kästchen.
    Der Entertainer Jack Benny pflegte auf eine Weise eine Hand ans Gesicht zu legen, die die Mutter in ihren lichten Momenten ihr gegenüber als zärtlich bezeichnet hatte, nach der sie sich gesehnt und von der sie geträumt hatte, im Haus mit dem Kürass aus geladenen Schilden, während ihre eigene Mutter dem FBI chiffrierte Briefe schrieb.
    Wenn der Sonnenaufgang nahte, entgrauten sich die roten Ebenen im Osten, und die schreckliche, herrische Hitze des Tages regte sich in ihrem unterirdischen Bau; das Mädchen setzte den

Weitere Kostenlose Bücher