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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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das hier ablaufen könne.
    Die längste Zeit, die sie sich je ausschließlich von geklautem Essen ernährt hatte, waren acht Tage gewesen. Gerade mal ein kleiner Ladendieb. In ihrer Zeit in Moab, Utah, hatte ein Partner ihr mal gesagt, ihre Hosentaschen hätten keine Fantasie, und der wurde kurz darauf eingebuchtet und durfte am Highway Abfall aufspießen, als ihre Mutter und sie in dem umgebauten Wohnmobil vorbeifuhren, das von »Kick« gefahren wurde, dem Händler mit Katzengold und selbst gemachten Pfeilspitzen, in dessen Gegenwart ihre Mutter nie einen Ton sagte, sondern vor dem Radio saß und sich jeden Fingernagel in einer anderen Farbe lackierte und der sie einmal so fest in den Magen geboxt hatte, dass sie Sterne sah, aus nächster Nähe den Schotter unter dem Teppich roch und hören konnte, was ihre Mutter dann tat, um »Kick« davon abzuhalten, dem Mädchen mit dem losen Mundwerk weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Da hatte sie auch gelernt, eine Bremsleitung so anzuschneiden, dass sich das Versagen je nach Tiefe des Schnitts verzögerte.
    Nachts träumte sie auf der Pritsche im rötlichen Glühen auch von einer Bank am Teich und dem schläfrigen Schnattern der Enten, während das Mädchen an einer Schnur etwas hielt, das mit einem aufgemalten Gesicht droben schwebte, einen Drachen oder Ballon. Von einem anderen Mädchen, das sie nie sehen und von dem sie nie wissen würde.
    Einmal hatte die Mutter im nationalen Fernstraßensystem erwähnt, sie habe auch mal eine kopflose Puppe gehabt, an der sie während ihrer fegefeurigen Kindheit in Peoria und der Nervenschwäche (ihr Profil zerknautschte, als sie das Wort aussprach) ihrer Mutter sehr gehangen hatte, als die Mutter der Mutter dieser verboten hatte, das Haus zu verlassen, an dessen Außenseiten sie umherziehende Männer dicht an dicht gefundene und mitgenommene Radkappen hatte annageln lassen, um die Übertragungen eines gewissen Jack Benny abzulenken, eines reichen Mannes, der nach Ansicht der Großmutter wahnsinnig war und durch Radiowellen einer bestimmten Frequenz und Färbung globale Gedankenkontrolle anstrebte. (»›Niemand, der so übel ist, lässt sich die Welt durch die Lappen gehen‹« war ein indirektes Zitat oder Gerücht beim Fahren, was die Mutter praktizierte, während sie gleichzeitig rauchte und sich die Fingernägel feilte.) Das Mädchen hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, Zeichen zu deuten und die Fakten seiner eigenen Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart zu kennen. Glasscherben zu Pulver zu zerstampfen dauert mit einem Ziegelstein auf einer harten Fläche eine Stunde. Sie hatte Rinderhack und Brötchen geklaut, Glaspulver ins Fleisch geknetet, es auf einem Fliegengittergrill hinten am herrenlosen Dodge gebraten und diese sorgfältig zubereiteten Sandwichs tagelang auf dem Vordersitz liegen gelassen, bis der Mann, der ihr zugesetzt hatte, mit seinem Kleiderbügel als Werkzeug die Fahrzeugtür aufhebelte und sie stahl, woraufhin er nie mehr zurückkehrte; kurz darauf wurde die Mutter der Pflege des Mädchens überantwortet. Ein vollständiges Überlappen der Radkappen war nicht zu bewerkstelligen, aber die Anweisungen der Großmutter lauteten, sie sollten sich an möglichst vielen Stellen berühren. Elektrifizierte man also eine, standen alle unter Strom und konnten das Wellenbombardement abwehren. Das erzeugte ein tödliches Feld, das den Radioempfang im gesamten Block störte. Nachdem sie zweimal vorgeladen worden war, weil sie die Stromversorgung des Hauses zweckentfremdet hatte, trieb die alte Frau irgendwo einen Generator auf, der – wenn auch lautstark – mit Kerosin betrieben wurde und neben dem granatenförmigen Propantank vor der Küche rumpelte und pumpelte. Die junge Mutter durfte manchmal nach draußen, um die Sperlinge zu begraben, die am Haus Feuer gefangen und in einem Aufblitzen und einem vogelförmigen Rauchbällchen ihre Seelen ausgehaucht hatten.
    Das Mädchen las Geschichten über Pferde, Lebensläufe, Wissenschaft, Psychiatrie sowie Popular Mechanics , wenn sie ein Heft auftreiben konnte. Sie beschäftigte sich auf resolute Weise mit der Geschichte. Sie las Mein Kampf und konnte das ganze Tamtam nicht verstehen. Sie las Wells, Steinbeck, Keene, Laura Wilder (zwei Mal) und Lovecraft. Sie hatte die Hälften vieler zerrissener und weggeworfener Sachen gelesen. Sie las ein einbandloses Exemplar von Die rote Tapferkeitsmedaille und hatte sofort im Urin, dass der Autor weder je im Krieg gewesen war noch

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