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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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auch wenn klar auf der Hand liegt, dass ihre Trauer großenteils auf ungelöste Konflikte und Blockaden im Zusammenhang mit ihrer Ehe, der Identitätskrise, die sie 1972 mit vierzig oder einundvierzig durchgemacht hat, und dann die Scheidung zurückzuführen ist, was sie damals alles nicht richtig aufarbeiten konnte, weil sie sich mit Haut und Haar der Frauenbewegung, der Bewusstseinserweiterung und dem Kreis ihrer neuen seltsamen und mehrheitlich übergewichtigen Frauen verschrieben hatte, die alle in den Vierzigern waren, außerdem hatte sie praktisch gleichzeitig mit Joyce ihre neue sexuelle Identität entdeckt, was meinen Vater einfach umgebracht haben muss, so prüde und konventionell, wie er nun einmal war, auch wenn wir beide nie offen darüber gesprochen haben, meine Mutter und er schafften es ja auch irgendwie, verhältnismäßig gute Freunde zu bleiben, und ich habe nie gehört, dass er darüber auch nur ein einziges Wort verloren hätte, außer dass er mal eine bissige Bemerkung darüber machte, ein wie hoher Anteil der vereinbarten Unterhaltszahlungen in den Buchladen flössen, den er manchmal »dieses finanzielle schwarze Loch« oder auch einfach nur »das schwarze Loch« nannte – all das wäre ein Kapitel für sich. Also sprachen wir eigentlich nie richtig darüber, und ich geh mal davon aus, dass das für solche Fälle auch nicht ungewöhnlich ist.
    Wenn ich meinen Vater beschreiben müsste, würde ich als Erstes festhalten, dass seine Ehe mit meiner Mutter eine der wenigen mir bekannten Ehen war, wo die Frau deutlich größer war als der Mann. Mein Vater war 1,68 oder 1,69 groß und nicht dick, aber gedrungen, so wie viele eher kleine Männer in ihren späten Vierzigern gedrungen wirken. Er wog vielleicht siebenundsiebzig Kilo. Er machte sich gut in Anzügen – wie bei so vielen Männern seiner Generation schien sein Körper geradezu wie geschaffen dafür, einen Anzug zu tragen und auszufüllen. Und er besaß etliche gute Anzüge, meist Einreiher mit nur einem Rückenschlitz, dezent und konservativ, die meisten aus Kammgarn für die kälteren Jahreszeiten und einen oder zwei aus Seersucker für heiße Tage, an denen er dann auch auf seinen üblichen Geschäftshut verzichtete. Zu seinen Gunsten – jedenfalls im Rückblick – sei gesagt, dass er die breiten Krawatten, grellen Farben und das ausgestellte Revers ablehnte, die den sogenannten modernen Stil auszeichnen, und das Phänomen der Freizeitanzüge und Cordsakkos war ihm zuwider. Seine Anzüge waren nicht maßgeschneidert, stammten aber fast alle von Jack Fagman, einem sehr alten und angesehenen Herrenbekleidungsgeschäft in Winnetka, dessen Stammkunde er war, seit unsere Familie 1964 in den Großraum Chicago gezogen war, und einige davon waren richtig chic. Zu Hause, »in Zivil«, wie er das nannte, trug er Freizeithosen und Jerseyhemden, manchmal unter Pullundern – bei denen war Argyle sein Lieblingsmuster. Manchmal trug er Strickjacken, aber meiner Ansicht nach wusste er, dass die ihn etwas breithüftig machten. Im Sommer stellte sich manchmal das grauenhafte Problem der mit schwarzen Socken kombinierten Bermudashorts, weil mein Vater, wie sich herausstellte, gar keine anderen Socken besaß. Ein Sakko, Größe 36R in mitternachtsblauer Schappeseide, stammte noch aus der Zeit seiner Jugend und des ersten Umwerbens meiner Mutter, hatte sie erklärt – nach dem Unfall war es schwer für sie, wenn das Jackett überhaupt erwähnt wurde, und sie konnte mir erst recht nicht sagen, was ich damit anfangen sollte. In der Kleiderkammer hingen sein bester und sein drittbester Überzieher, ebenfalls von Jack Fagman, und dazwischen noch der leere Holzbügel. Er benutzte Schuhspanner für die guten und die Büroschuhe; teilweise hatte er die noch von seinem Vater geerbt ( die bezieht sich natürlich auf die Schuhspanner, nicht auf die Schuhe). Es gab auch ein Paar Ledersandalen, die er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, und nicht nur hatte er sie nie getragen, es hing auch noch das Katalogschildchen dran, als ich mich daranmachte, seine Kleider auszumisten. Mein Vater wäre nie auf die Idee gekommen, Schuhe mit Einlagen zu tragen. Damals hatte ich meines Wissens noch nie Schuhspanner gesehen und wusste nicht, wozu sie dienten, weil ich meine Schuhe weder pflegte noch achtete.
    Als junger Mann hatte mein Vater eindeutig hellbraune oder sogar blonde Haare, aber später waren sie nachgedunkelt und schließlich von Grau durchzogen; sie waren

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