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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Angehörige seiner Generation ungestillte Sehnsüchte hatte. Er hatte hart gearbeitet, weil er musste, und seine eigenen Träume auf Eis gelegt. Das habe ich alles indirekt von meiner Mutter erfahren, aber es passt zu gewissen Kleinigkeiten, die selbst mir nicht entgehen konnten. Z. B. las mein Vater immerzu. Er las die ganze Zeit. Das war seine einzige Freizeitbeschäftigung, besonders nach der Scheidung – aus der Bibliothek kam er immer mit einem Stapel von Büchern nach Hause, die in die durchsichtige Bibliotheksplastikfolie eingeschlagen waren. Ich achtete nie besonders darauf, was das für Bücher waren oder warum er so viel las – er sprach nie über seine Lektüre. Ich weiß nicht einmal, was er am liebsten las, ob nun Geschichtsbücher, Krimis oder was. Im Rückblick glaube ich, er war einsam, besonders nach der Scheidung, denn die einzigen Leute, die man seine Freunde nennen konnte, waren Arbeitskollegen, und ich glaube, im Grunde fand er seine Arbeit langweilig – ich glaube nicht, dass er sich persönlich mit dem Haushaltsausgabenprotokoll der City of Chicago identifizieren konnte, zumal der Umzug hierher nicht seine Idee gewesen war –, und ich glaube, Bücher und intellektuelle Themen gehörten zu seinen Fluchtmitteln vor der Langeweile. Er war eigentlich ein sehr intelligenter Mensch. Wenn ich mich bloß an mehr Beispiele seiner typischen Sprüche erinnern könnte – damals kamen sie mir wohl immer eher feindselig oder wertend vor, als dass ich gemerkt hätte, dass er sich über uns beide lustig machte. Ich erinnere mich noch, dass er die sogenannte jüngere Generation (also meine) manchmal als »diese Sache, die Amerika hervorgebracht hat« bezeichnete. Das ist aber kein gutes Beispiel. Ich glaube, er war eher der Meinung, die Schuld läge auf beiden Seiten, und auch mit den Erwachsenen des ganzen Landes wäre irgendetwas nicht in Ordnung, wenn sie solche Kinder wie die der Siebziger hervorbringen könnten. Ich erinnere mich an einen Vorfall im Oktober oder November 1976, als ich einundzwanzig war und wieder mal eine Auszeit nahm, nachdem ich an der DePaul eingeschrieben gewesen war – was übrigens gar nicht gut lief, mein erstes Mal an der DePaul. Im Endeffekt war es eine Katastrophe. Man legte mir ausdrücklich nahe, mich zu exmatrikulieren, und das ist selbst mir sonst nirgends passiert. Die anderen Male, am Lindenhurst College und später dann an der UIC, hatte ich es selbst aufgesteckt. Jedenfalls jobbte ich während dieser Auszeit in der Nachtschicht einer Käsecrackerfabrik in Buffalo Grove und wohnte bei meinem Vater in Libertyville. Dass ich in der Wohnung von Joyce und meiner Mutter in Wrigleyville übernachtete, wo alle Zimmer Perlenvorhänge statt Türen hatten, kam überhaupt nicht infrage. Aber ich musste bei diesem hirnlosen Job erst um sechs einstempeln, also hing ich nachmittags meistens im Haus herum, bis ich dann losmusste. Und mein Vater war in dieser Zeit manchmal ein paar Tage am Stück weg – genau wie der Service schickte die Finanzbehörde der City of Chicago ihre eher technischen Mitarbeiter immer zu Konferenzen und innerbetrieblichen Weiterbildungen, die, wie ich später hier beim Service erfahren sollte, nichts mit den großen Kollektivbesäufnissen der Privatwirtschaft gemeinsam haben, sondern meistens extrem arbeitsintensive Angelegenheiten sind. Mein Vater sagte, die Weiterbildungen der City wären meistens einfach bloß öde, was einer seiner Lieblingsausdrücke war, öde . Während dieser Seminare war ich dann allein im Haus, und Sie können sich vorstellen, was da abging, wenn ich allein war, besonders an den Wochenenden, obwohl ich ja eigentlich das Haus hüten sollte, wenn er nicht da war. Aber ich erinnere mich, dass er ’76 eines Nachmittags früher von einem dieser Seminare nach Hause kam, und zwar einen oder zwei Tage früher, als er sich meiner Meinung nach angekündigt hatte, und als er zur Haustür hereinkam, fand er mich und zwei meiner alten sogenannten Freunde aus der Highschool von Libertyville South im Wohnzimmer – das wegen der leicht erhöhten Veranda und Haustür eigentlich ein abgesenktes Wohnzimmer direkt hinter der Haustür war; eine kleine Treppe führte ins Wohnzimmer hinab und eine in den ersten Stock des Hauses hinauf. Architekten nennen das eine Raised Ranch , die meisten älteren Häuser der Straße waren im selben Stil erbaut, und eine dritte Treppe führte von der Diele im ersten Stock in die Garage hinunter, die das Fundament

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