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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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tiefgründig bewusst geworden war, in dem billigen grünen Sessel eines Vormieters, den jemand beim Auszug aus dem Wohnheim einfach im Zimmer stehen gelassen hatte und an dessen Rahmen unter den Polstern etwas verbogen oder gebrochen sein musste, sodass er zur Seite kippte, wenn man sich zurücklehnen wollte, und deswegen musste man immer kerzengerade dasitzen, was ein komisches Gefühl war. Auf alle diese Verdopplungen folgte am nächsten Morgen eine geistige Schwammigkeit, besonders wenn ich verschlafen hatte – was oft vorkam, weil ich durch das Amphetamin natürlich immer erst spät einschlief – und mehr oder weniger sofort in die Puschen kommen und ins Seminar hetzen musste, ohne jemanden oder etwas wahrzunehmen, an dem ich vorbeieilte. Letztlich gehörte ich zu den Menschen, die eine Heidenangst davor haben, sich zu verspäten, aber trotzdem immer überall zu spät kommen. Wenn ich mich irgendwo verspätete, war ich anfangs oft so angespannt und nervös, dass ich erst recht nichts mitbekam. Ich weiß, dass ich die Angst vor Verspätungen von meinem Vater geerbt habe. Außerdem stimmt es, dass die erhöhte Bewusstheit und Artikulationsfähigkeit der Obetrol-Verdopplung manchmal zu weit gehen konnte – »Jetzt wird mir bewusst, dass mir bewusst ist, dass ich seltsam aufrecht dasitze, jetzt wird mir bewusst, dass es mich links im Nacken juckt, jetzt wird mir meine Erwägung bewusst, ob ich mich kratzen soll oder nicht, jetzt wird mir bewusst, dass ich dieser Erwägung Aufmerksamkeit schenke und eine zwiespältige Einstellung zum Gefühl des Kratzens habe und inwiefern diese Gefühle und ihre Bewusstheit meine Bewusstheit der Intensität des Juckens verändern.« D. h., ab einem bestimmten Punkt konnte das bei der Verdopplung jeweils gewählte Objekt der Aufmerksamkeit verloren gehen, und die Bewusstheit konnte in ein Spiegelkabinett bewusst gefühlter Empfindungen und Gedanken und Bewusstwerdungen des Bewusstwerdens ihrer Bewusstwerdung explodieren. Es war eine Aufmerksamkeit ohne Wahlmöglichkeit, bedeutete den Verlust der Fähigkeit, nur eine Sache in den Blickpunkt zu rücken und sich auf diese zu konzentrieren, und war ein weiterer großer Ansporn, besonders spätabends bei der Einnahme von Obetrol Maß zu halten – ich muss zugeben, ich kann mich erinnern, dass ich mich zwischen den Spiegeln oder den verschiedenen Schichten des Bewusstwerdens des Bewusstwerdens ein paarmal dermaßen verlaufen habe, dass ich mein Geschäft direkt auf dem Sofa verrichtete – das war noch oben am Lindenhurst College, wo in jeder Wohneinheit drei Leute zusammenwohnten und sich einen teilmöblierten »Sozialraum« in der Wohnungsmitte teilten, wo das Sofa stand –, was für mich selbst damals ein eindeutiges Zeichen des Verlusts grundlegender Prioritäten sowie des Versagens war, mich um meinen Kram zu kümmern. Aus unerfindlichen Gründen sehe ich im Geiste heute manchmal vor mir, wie ich meinem Vater zu erklären versuche, warum mir etwas so konzentriert bewusst wurde, dass ich dasaß und mir in die Hose machte, aber das Bild bricht immer in genau dem Moment ab, wo er zu einer Antwort ansetzt, und ich bin neunundneunzigprozentig sicher, dass es keine echte Erinnerung ist – wie hätte er auch von einer Couch oben am Lindenhurst wissen sollen?
    Nur fürs Protokoll, eins ist wahr: Mein Vater fehlt mir, das Geschehen hat mich damals sehr mitgenommen, und manchmal bin ich traurig, wenn ich daran denke, dass er die von mir eingeschlagene Laufbahn nicht mehr mitbekommen hat, auch nicht die daraus resultierenden Veränderungen meiner Persönlichkeit oder einige meiner PP-47-Leistungsbewertungen, und außerdem hätten wir aus weit erwachsenerer Perspektive über Kostensysteme und forensische Buchprüfung diskutieren können.
    Und doch hatte dieses Aufflackern einer erhöhten Bewusstheit, ob nun drogeninduziert oder nicht – welche Rolle das spielt, ist letztendlich doch sehr die Frage –, wahrscheinlich direktere Auswirkungen auf mein Leben, seine Richtungsänderungen und meinen Eintritt in den Service 1979 als der Unfall meines Vaters, vielleicht sogar mehr als die dramatische Erfahrung, die ich in der Seminarsitzung in Steuerprüfung II durchmachte, in der ich in meiner zweiten, letztlich weit konzentrierteren und erfolgreicheren Einschreibung an der DePaul irrtümlich gelandet war. Das irrtümliche Repetitorium hab ich ja schon erwähnt. Ums kurz zu machen, bestand diese Erfahrung darin, dass es auf dem Lincoln-Park-Campus

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