Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
Objekten im Raum und sogar die spezifischen Schattierungen der Wände und der Decke und überhaupt von allem veränderte, und durch die »Verdopplung« war mir auch bewusst, dass ich das Lämpchen an- und ausschaltete, die Veränderungen registrierte, von ihnen beeinflusst wurde und wusste, dass ich sie registrierte. Dass mir mein Bewusstwerden bewusst wurde. Das hört sich vielleicht abstrakt oder stoned an, war es aber nicht. Ich fühlte mich dadurch lebendig. Irgendetwas daran mochte ich. Ich konnte z. B. Pink Floyd hören oder auch die ständig aus dem Schlafzimmer meines Mitbewohners dröhnenden Platten wie Sgt. Pepper und nicht nur die Musik hören, jede Note, jeden Takt, jeden Tonartwechsel und jede Auflösung jedes Songs, sondern ich wusste auch mit demselben Bewusstwerden und derselben Urteilsfähigkeit, dass ich das tat, d. h. wirklich lauschte – »Jetzt höre ich gerade den zweiten Refrain von ›Fixing a Hole‹ von den Beatles« – und auch die genauen Gefühle und Empfindungen wahrnahm, die die Musik in mir hervorrief. Das hört sich vielleicht nach einem rundum verklärten Hippie an, der sich seinen Gefühlen öffnet, und das ganze Zeugs. Aber nach meinen Erfahrungen in jener Zeit zu urteilen, fühlen die meisten Menschen etwas, nehmen eine Haltung zu etwas ein oder entscheiden sich, etwas Aufmerksamkeit zu schenken, ohne eigentlich zu wissen, dass sie das tun. Wir machen das so automatisch, wie unser Herz schlägt. Manchmal saß ich so in einem Zimmer und nahm wahr, wie viel Mühe es kostet, nur länger als eine Minute oder so auf den eigenen Herzschlag zu achten – es ist fast, als wollte der eigene Herzschlag unentdeckt bleiben, wie ein Rockstar, der nicht im Rampenlicht stehen will. Aber er ist da, wenn man sich verdoppeln und zur Aufmerksamkeit zwingen kann. Das Gleiche gilt für Musik, durch die Verdopplung konnte man genau hinhören und gleichzeitig den Emotionen nachspüren, die die Musik hervorrief – genau darum ist Musik uns schließlich so wichtig, weil wir dann bestimmte Sachen fühlen, sonst wäre sie ja nur Lärm –, und diese Emotionen nicht nur haben, sondern sie beim Zuhören auch wahrnehmen und sich sagen »Bei diesem Song fühle ich mich warm und sicher, eingekuschelt wie ein kleiner Junge, der nach dem Baden in Handtücher eingemummelt worden ist, die schon so oft gewaschen wurden, dass sie unglaublich weich sind, und gleichzeitig fühle ich mich traurig; im Mittelpunkt der Wärme herrscht eine Leere, so wie eine leere Kirche oder ein leeres Klassenzimmer mit vielen Fenstern, durch die man nur den Regen auf der Straße sieht, traurig ist, als herrschte genau im Mittelpunkt dieser sicheren, eingemummelten Gefühle die Saat der Leere«. Das würde man nicht unbedingt so ausdrücken, aber es wäre deutlich und greifbar genug, um so gesagt werden zu können, wenn man wollte. Und diese Deutlichkeit würde einem ebenfalls bewusst. Na ja, deshalb stand ich jedenfalls auf Obetrol. Es ging nicht einfach nur darum, zu schöner Musik wegzudriften oder jemanden auf einer Party an die Wand zu quasseln.
    Und auf Obetrol oder Cylert wurden einem auch nicht nur gute oder angenehme Sachen bewusst. Manche Dinge, die sie einem zu Bewusstsein brachten, waren nicht angenehm, sondern einfach Realität. Wenn ich beispielsweise in unserem kleinen Wohnzimmer im UIC -Wohnheim saß und den Mitbewohner Schrägstrich Sozialrebellen aus Naperville in seinem Schlafzimmer am Telefon hörte – dieser sogenannte Nonkonformist hatte seinen eigenen Telefonanschluss; ein Mal dürfen Sie raten, wer die Rechnung zahlte –, wie er mit einer Kommilitonin redete, was ich, wenn weder Musik noch Fernseher lief, mitbekommen musste, weil die Wände immer so dünn waren, dass man die Faust hätte hindurchstoßen können, wenn man gewohnheitsmäßig auf Wände eindrosch; wenn ich also hörte, wie er diese Kommilitonin mit Süßholzspänen mästete, und ihn nicht nur nicht mochte und mich für ihn genierte, weil er so affektiert mit Mädchen sprach – als hätte irgendwem, der Augen im Kopf hatte, entgehen können, wie verbissen er sich als hip und radikal darzustellen versuchte, ohne auch nur im Geringsten wahrzunehmen, wie er wirklich rüberkam, nämlich blasiert, unsicher und eitel –, wenn ich das alles hörte und fühlte, wurde mir gleichzeitig aber auch auf unbehagliche Weise bewusst, dass ich das tat, soll heißen, ich spürte ganz bewusst diese inneren Reaktionen, sie liefen nicht einfach in mir ab, ohne dass

Weitere Kostenlose Bücher