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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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ich sie mir richtig eingestanden hätte. Ich fürchte, ich kann das nicht besonders gut erklären. Als ob man imstande sein müsste, sich selbst zu sagen, » Ich tu so, als säße ich hier, um Albert Camus’ Der Fall für die Zwis chenprüfung in Literatur der Entfremdung zu lesen, aber in Wahrheit höre ich konzentriert zu, wie Steve dieses Mädchen am Telefon beeindrucken will, und er ist mir peinlich, und ich verachte ihn und finde, dass er ein Aufschneider ist, und gleichzeitig wird mir auf unangenehme Weise bewusst, dass es Gelegenheiten gab, wo ich mich auch hip und zynisch gegeben habe, um jemanden zu beeindrucken, soll heißen, nicht nur ist mir Steve unsympathisch, was ganz ehrlich der Fall ist, sondern teilweise ist er mir auch unsympathisch, weil ich, wenn ich ihn am Telefon höre, Gemeinsamkeiten sehe und eigene Gewohnheiten erkenne, die mir peinlich sind, ohne dass ich wüsste, wie ich sie ablegen könnte – wenn ich beispielsweise nicht mehr so nihilistisch auftreten würde, auch mir selbst gegenüber nicht, was würde dann passieren, wie würde ich dann sein? Und werde ich mich nach dem Obetrollen an dies alles überhaupt erinnern oder von Steve Edwards nur wieder genervt sein, ohne das Wie und Warum so recht wahrhaben zu wollen?« Ist das nachvollziehbar? Manchmal machte es mir richtig Angst, weil ich das alles mit schon unangenehmer Klarheit durchschaute, auch wenn ich ein Wort wie Nihilismus damals nicht benutzt hätte oder nur, um es cool oder wie eine Anspielung klingen zu lassen, was ich in der Klarheit des Verdoppelns nicht nötig hatte, denn so was machte ich nur, wenn mir gar nicht richtig bewusst war, was ich tat oder was für ein Ziel ich verfolgte, sondern von einem seltsam roboterhaften Autopiloten gesteuert wurde. Und wenn ich Obetrol nahm – oder einmal an der DePaul eine Variante namens Cylert, die es nur in Tabletten à zehn Milligramm gab, die nur einmal in einer ganz bestimmten Situation verfügbar waren, die sich nie wiederholte –, pflegte ich wieder einzusehen, dass mir die meiste Zeit gar nicht richtig bewusst war, was eigentlich los war. Als würde man den Zug nehmen, statt selbst irgendwohin zu fahren, wobei man dann wissen müsste, wo man ist und wo man abbiegen muss. Im Zug kann man einfach wegdriften und dahinfahren, und das war die meiste Zeit so ungefähr mein Lebensgefühl. Und mit diesen Aufputschmitteln wurde mir das bewusst, wie mir auch die Tatsache bewusst wurde, dass es mir bewusst wurde. Diese Augenblicke der Bewusstwerdung waren aber flüchtig, und wenn ich vom Obetrol runterkam – was meistens mit üblen Kopfschmerzen einherging –, hatte ich das Gefühl, ich könnte mich an kaum etwas erinnern, das mir bewusst geworden war. Die Erinnerung an das Gefühl, plötzlich aufzuwachen, zu Bewusstsein zu kommen, fühlte sich verschwommen und diffus an wie etwas, das man nur am äußeren Rand des Sichtfelds sieht, was man aber nicht sehen kann, wenn man versucht, es direkt anzuschauen. Oder wie das Fragment einer Erinnerung, bei der man nicht sicher ist, ob man sie erlebt oder nur geträumt hat. Was natürlich ganz dem entsprach, was ich während der Verdopplung vorhergesagt und befürchtet hatte. Es war also nicht alles nur Spaß und Spiel, was mit ein Grund war, warum sich das Obetrollen wahr und wichtig anfühlte und nicht nur albern und vergnüglich wie Pot. Manchmal war es unangenehm eindringlich. Als würde ich mir beim Aufwachen nicht nur bewusst werden, dass ich meinen Mitbewohner, seine Jeans-Arbeitshemden, die Gitarre und die ganzen sogenannten Freunde nicht mochte, die vorbeikamen und so taten, als würden sie ihn mögen und cool finden, bloß um bei ihm ihr Gramm Hasch oder was auch immer abzustauben, als würde ich nicht nur das ganze Zusammenwohnen nicht mögen und sogar das nihilistische Ritual mit dem Fuß und dem Hat, was wir immer als weit cooler und witziger ausgaben, als es war – denn wir befolgten es ja nicht ein-, zweimal, sondern praktisch immerzu, es war in Wahrheit nur ein Vorwand, um uns vor dem Lernen und der Arbeit zu drücken und Kaputtniks zu sein, während unsere Eltern die Studiengebühren, Zimmer und Verpflegung zahlten –, sondern beim genaueren Hinsehen auch wahrnehmen, dass ich mich für meinen Mitbewohner Steve Edwards teilweise entschieden hatte, weil ich es irgendwie auch genoss, ihn nicht zu mögen und Dinge aufzulisten, die scheinheilig an ihm waren und in mir eine peinlich berührte Abneigung erzeugten, und dass es

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