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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Amanda“, sagte Tarzan,
denn von den andern kannte sie ja noch keiner.
    „Die hätte ich an den Haaren
erkannt“, sagte Gaby.
    Klara Bichler, wie sie in
Wahrheit hieß, trug einen braunen Trenchcoat und modische Stiefel. An ihrem Arm
hing ein Einkaufskorb.
    Sie ging zur Scheune. Die
Kinder sahen, wie sie in die Limousine stieg.
    „Schnell weg!“ befahl Tarzan.
„Gleich ist sie hier.“
    Hastig schoben sie ihre Räder
unter die Bäume. Eine kleine Gruppe dichtstehender Tännchen bot Schutz. Hinter
die kauerten sie sich. Gaby hielt Oskar die Schnauze zu, und schon war die
Limousine heran.
    Tarzan hatte sich so postiert,
daß er durch die Zweige spähen konnte.
    In der Kurve fuhr Amanda
langsam. Sie hatte das Fenster halb aufgekurbelt und klappte in diesem Moment
die Sonnenblende hoch. Dann war der Wagen vorbei.
    „Sie fährt einkaufen“, sagte
Tarzan. „Besser können wir’s nicht treffen. Jetzt ist der Blinde allein. Sowas
nenne ich eine Chance.“
    „Du meinst, der merkt nichts?“
fragte Karl.
    „Sicherlich hat er ein feines
Gehör. Aber ich werde mich lautlos wie ein Schatten bewegen. Ihr bleibt hier.
Man kann nicht Vorhersagen, wie sich sowas entwickelt. Gaby muß Schutz haben.
Und ich brauche Rückendeckung, falls Raimondo nicht allein ist. Ich weiß auch
nicht, wie lange Amanda weg bleibt. Ihr hört hier den Wagen eher als ich. Karl,
du gibst Signal. Pfeifst auf den Fingern. Aber laut!“
    „Au, Mann!“ sagte Klößchen.
„Und was machen wir, wenn du überhaupt nicht zurückkommst?“
    „Dann gebt ihr schnellstens
Gabys Vater Bescheid.“
    „Der würde uns was erzählen“,
seufzte Gaby, „wenn er wüßte, daß wir hier sind.“
    „Also“, sagte Tarzan. „Dann
will ich mal sehen, wo Volker steckt.“
    Er stand auf, lief zur Straße,
hielt die Ohren gespitzt, trabte unter den Bäumen bis zum Waldrand und duckte
sich sekundenlang hinter einen Busch.
    Auf dem Bauernhof regte sich
nichts. Nicht mal Spatzen pickten auf dem Boden herum. Es schien, als mieden
alle Tiere dieses Haus.
    Etwa 150 Meter trennten
Waldrand und Haus. Dazwischen verlief die sandige Straße. Rechts und links lag
Weide, und nicht der kleinste Strauch bot sich als Deckung. Aber daran ließ
sich nunmal nichts ändern.
    Tarzan entschied sich für
Tempo. Er rannte die Straße entlang, trat aber möglichst leise auf. Seine
Boots-Schuhe mit den dicken Kreppsohlen dämpften die Schritte. Er erreichte die
Scheune.
    Aus der Nähe wirkte sie noch
baufälliger. Beim nächsten Sturm konnte sie einstürzen. Einen teuren, neuen
Wagen wie die dunkle Limousine hineinzustellen, war leichtsinnig.
    Tarzan ging hinein und sah sich
um. Es roch nach fauligem Stroh, Staub und Erde. Kein Versteck. Keine Spur von
Volker.
    Geduckt pirschte Tarzan zum
Haus.
    Vor Aufregung klopfte ihm das
Herz. Aber er wußte, daß ihn seine Freunde beobachteten. Aufatmend erreichte er
die schmälste Seite des Hauses. Hier waren nur zwei Fenster. Aber hineinsehen
konnte er nicht. Die Vorhänge aus derbem Stoff waren zugezogen. Er blieb stehen
und horchte.
    Kein Laut war zu hören. Nur
drüben beim Wald brach irgendwo knackend ein Zweig.
    Daß das Haus unterkellert war,
sah Tarzan sofort. Ein schräger Schacht, eine Art Kohlenrutsche, führte zu
einem Kellerfenster hinab. Aber es war verschlossen und die Scheibe von Staub
verkrustet. In den Winkeln hingen Spinnweben.
    Tarzan winkte zum Waldrand
hinüber, obwohl er seine Freunde nicht sah. Dann pirschte er zur Rückfront des
Hauses.
    Als er um die Ecke bog, wäre er
beinahe zurückgeprallt.
    Augenblicklich hielt er den
Atem an, verharrte stocksteif und spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief.
    Um ein Haar wäre er Raimondo in
die Arme gelaufen.
    Keine drei Schritte entfernt
stand ein Liegestuhl, daneben ein kleiner Korbtisch.
    Raimondo, der Hellseher, saß in
dem Liegestuhl, hatte sich eine Wolldecke um die Beine gewickelt und hielt das
Gesicht in die Sonne.
    Er saß mit geschlossenen Augen.
Aber eingeschlafen war er nicht. Dafür atmete er zu flach.
    Auf dem Korbtisch standen Glas
und Bierflasche. Daneben lagen eine Zeitung, ein angebissenes Butterbrot und...
Tarzan traute seinen Augen nicht: Ein Schlüsselring mit vier unterschiedlichen
Schlüsseln. Garantiert die Hausschlüssel. War auch der zu Volkers Verlies
dabei?
    Raimondo bewegte die Lider.
    Tarzans Impuls war, hinter die
Hausecke zurückzuweichen. Aber das war unnötig, denn sehen konnte ihn der
Blinde natürlich nicht. Er öffnete die Augen auch nur ganz

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