Der blinde Passagier
gesagt. Kurz danach war sie aufgesprungen und losgerannt.
Im Zimmer 412 saß Manuelas Mutter auf der Terrasse unter einem Sonnenschirm und las in einem ganz dünnen Lederband. Bestimmt Gedichte.
„Entschuldige, wenn ich so hereinschneie“, sagte Manuela, „aber es ist unheimlich wichtig, und das ist Peter Schimmelpfennig aus Hamburg.“
Peter blieb in seiner Badehose an der Tür stehen und verbeugte sich ein klein wenig. „Guten Tag, gnädige Frau“, sagte er. Das klang genauso höflich wie bei Tennislehrer Pohmann, wenn die weißhaarige Dame mit ihrer Tochter zur Stunde gekommen war.
Das Mädchen Manuela wirbelte inzwischen durchs Zimmer, drehte die Sofakissen von einer Seite auf die andere und riß die Schubladen auf.
„Ich nehme an, du suchst etwas?“ fragte die weißhaarige Dame vom Balkon herein und lächelte ein ganz klein wenig dabei.
„Die Zeitungen von gestern.“ Manuela lag bereits auf den Knien und blickte unter das Sofa.
„Im Schlafzimmer“, rief die alte Dame, „auf dem Nachttisch oder im Papierkorb.“
Manuela verschwand hinter einer Tür. Man hörte einen Schrei, und gleich darauf kam sie mit einer Handvoll Zeitungen zurück. Knapp fünf Sekunden später legte sie einen Paris soir und eine new york post vor Peter Schimmelpfennig auf den Tisch.
„Hier!“ sagte sie nur. „Und da!“ Ihr Zeigefinger tippte dabei jedesmal auf ein Bild, das in beiden Zeitungen fast gleich war. Beide Bilder zeigten einen dunklen Wintermantel. Die New Yorker Zeitung brachte dazu noch ein Foto von Peter Schimmelpfennig, das aber nicht besonders scharf war. Trotzdem war Peter zu erkennen.
„Soll ich dir übersetzen, was da steht?“ fragte Manuela. „Ich weiß nicht, wie es bei dir mit Englisch und Französisch aussieht.“
„Bitte“, sagte Peter Schimmelpfennig. Er war jetzt doch ziemlich aufgeregt.
„Unfall oder Verbrechen?“ übersetzte Manuela. „Sorge um den ,blinden Passagier’ aus Hamburg.“ Das waren die Überschriften. In ihren Artikeln erzählten die beiden Zeitungen dann noch einmal Peter Schimmelpfennigs Geschichte. Bis zu seiner Ankunft in Rio. „... aber seit diesem Dienstag ist der Hamburger Junge auf bisher ungeklärte Weise verschwunden. Lediglich sein Mantel (siehe Bild) wurde in der Hotelhalle gefunden.“
„Ist das wirklich dein Mantel?“ wollte das Mädchen wissen.
„Ich glaube schon“, gab Peter Schimmelpfennig zu. „Und um ehrlich zu sein: Mir ist bisher noch gar nicht aufgefallen, daß er fehlt. Es ist ein dicker Wintermantel, und so etwas braucht man hier ja nicht.“ Er überlegte eine Weile.
„Aber irgend jemand muß ihn in die Hotelhalle gelegt haben, damit er dort gefunden wird. Dann hat man ihn fotografiert und eine Sensation daraus gemacht. Und sicher fürchtet jetzt Frau Schimmelpfennig, daß mir wirklich etwas passiert ist. Und Dr. Liesegang glaubt das vielleicht auch. Meine Briefe kriegen sie nämlich frühestens morgen oder übermorgen. Das ist eigentlich eine Affengemeinheit.“
Manuelas Mutter war inzwischen längst vom Balkon hereingekommen und saß auf dem Sofa unter einem großen Ölgemälde. Peter Schimmelpfennig mußte seine Geschichte zum zweiten Mal erzählen, und anschließend bestellte die weißhaarige Dame zwei Telefongespräche nach Hamburg.
Die drei setzten sich auf die Terrasse und warteten. „Schade, daß mein Mann nicht hier ist“, sagte Manuelas Mutter nach einiger Zeit. „Die Sache hat nämlich auch eine geschäftliche Seite, und davon versteht unser Vater eine ganze Menge. Ich fürchte nämlich...“
„... daß man ihn aufs Kreuz legen will“, vervollständigte der hellblonde Pferdeschwanz das, was die weißhaarige Dame im stillen dachte.
„Jedenfalls wäre es jetzt wichtig, einen Anwalt zu befragen oder eben einen guten Geschäftsmann“, überlegte Manuelas Mutter. „Man macht in Dingen, die man nicht versteht, leider sehr schnell die allergrößten Dummheiten.“
„Mister Goldwater“, sagte Peter Schimmelpfennig auf einmal wie aus heiterem Himmel, „ich glaube, daß er mir helfen würde.“ Er berichtete von dem steinreichen Amerikaner, was er wußte.
„Das ist unser Mann!“ rief der Pferdeschwanz.
„Wir sollten es jedenfalls probieren.“ Manuelas Mutter ging zum Telefon und ließ sich mit Mister Goldwater verbinden.
„Ich habe leider gerade den Friseur bei mir und werde gleichzeitig manikürt“, entschuldigte sich der Amerikaner, nachdem er sich angehört hatte, worum es ging. „Aber ich stehe gern
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