Der blinde Passagier
zur Verfügung. Sie müßten allerdings zu mir in den sechsten Stock kommen. Zimmer 610 bis 615.“
Die Unterhaltung bei Mister Goldwater dauerte eine volle Stunde. Dabei wurde der Amerikaner von einem Herrn aus dem Friseursalon rasiert, und eine junge Dame feilte und polierte an seinen Fingernägeln herum.
Peter Schimmelpfennig mußte seine Geschichte nun schon zum dritten Mal erzählen, und das Mädchen Manuela übersetzte sie. Mister Goldwater schüttelte sich dabei ein paarmal vor Vergnügen. Dann nahm der Friseur immer ganz schnell sein Messer aus dem Gesicht des Amerikaners und rührte verlegen in dem weißen Seifenschaum.
„Und jetzt die finanziellen Abmachungen?“ fragte Goldwater, als die Geschichte zu Ende war. Er hatte plötzlich ein Gesicht wie die Leute hinter den Kassenschaltern von Banken und Postämtern.
Peter Schimmelpfennig berichtete, wie die Dinge lagen.
„Okay“, sagte der Amerikaner gerade, „wir werden ihnen ganz schön in die Suppe spucken.“ Da klingelte das Telefon, und das Hamburger abendblatt war am Apparat. Leider meldete sich nur der Redakteur vom Dienst. Aber er wußte sofort Bescheid und fiel aus allen Wolken.
„Peter Schimmelpfennig“, fragte er gleich dreimal hintereinander. „Ich dachte, du bist...“
„Wenn Sie bitte notieren würden“, unterbrach ihn Peter Schimmelpfennig. „Ich spreche nämlich nicht aus Blankenese, sondern aus Honolulu, und da kostet jede Minute einen halben Volkswagen.“
„Ich bin bereit“, rief es am anderen Ende aufgeregt, und Peter Schimmelpfenriig diktierte im Telegrammstil, was inzwischen passiert war.
„Da fällt dem Chef aber bestimmt ein ganzer Steinbruch vom Herzen“, bemerkte der Redakteur noch und bedauerte, daß Dr. Liesegang augenblicklich nicht im Hause sei.
„Er muß spätestens morgen meine ersten Briefe bekommen — herzlichen Gruß.“ Peter Schimmelpfennig hatte gerade aufgelegt, da kam das zweite Gespräch.
„Hier bei Schimmelpfennig“, meldete sich die Stimme der Großmutter aus Hamburg. Sie war so deutlich zu hören, als spräche sie aus dem Nebenzimmer.
„Und hier ist auch Schimmelpfennig“, rief Peter. „Hallo, wie geht es euch?“
Eine ganze Weile war nichts zu hören. Nur ein entferntes Summen in der Leitung.
„Hallo, Großmutter“, rief Peter Schimmelpfennig.
„Bist du am Bahnhof, oder wo bist du?“ fragte die Großmutter am anderen Ende der Leitung.
„Ich bin in Honolulu“, rief Peter, „und es geht mir prima. Wo ist Frau Schimmelpfennig?“
„Vor zehn Minuten zum Flugplatz. Sie hat heute Frühdienst“, rief die Großmutter. Sie war ganz aufgeregt, und ihre Stimme zitterte. „So ein Unglück! Sie wäre wahnsinnig geworden vor Freude. Und gerade jetzt hab’ ich die Milch auf dem Feuer. Aber es ist mir jetzt piepegal, ob sie überkocht. Wo bist du? Sag mir das noch einmal!“
„Ho-no-lu-lu“, rief Peter und betonte jede Silbe. „Das Abendblatt weiß genau Bescheid. Frau Schimmelpfennig soll bei Dr. Liesegang anrufen.“
„Bist du auch wirklich ganz gesund, mein Junge?“
„Gesünder geht’s gar nicht“, lachte Peter Schimmelpfennig und verabschiedete sich. Als er den Hörer wieder auflegte, hatte er ganz nasse und glänzende Augen. Das Mädchen Manuela blickte auf den Teppich, und seine Mutter machte ein paar verlegene Schritte zum Fenster. Mister Goldwater wischte sich den letzten Schaum aus dem Gesicht und sagte leise in englisch: „Sie gestatten, gnädige Frau, daß ich diese Gespräche bezahle.“ Anschließend ließ er seinen Chauffeur kommen.
„Und du gehst jetzt zu diesem Herrn aus Brasilien“, sagte er dann zu Peter Schimmelpfennig. „Inzwischen wird er ja mit seinem Chef telefoniert haben und wissen, wie es weitergehen soll. Anschließend erstattest du uns wieder Bericht. Inzwischen haben wir hier eine ganze Menge zu beraten. Und selbstverständlich hast du nicht mit uns gesprochen. Du warst nur am Strand und hast gebadet.“
„Ich danke Ihnen allen sehr herzlich“, sagte Peter Schimmelpfennig, verbeugte sich und trabte in seiner Badehose aus dem Zimmer.
„Ein reizender Junge“, bemerkte die Mutter von Manuela. „Und er hat das Glück gepachtet wie andere Leute eine Zweizimmerwohnung“, meinte Mister Goldwater und beguckte sich seine frisch polierten Fingernägel.
Mister Goldwater ist ziemlich ausgekocht
„Die Japaner haben gewonnen!“ jubelte Rodrigo. Das klang so, als hätten sich die Herren aus Tokio bei den Olympischen Spielen gerade eine
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