Der blinde Passagier
einfach. Ich ging also auf Universitäten. Das Geld war knapp. Ich mußte zwischendurch arbeiten und das Studium verdienen. So kam ich auch zu euch in die Steinfeldstraße.“
Während der ganzen Zeit hatte er immer wieder gelächelt und auf die Straße hinaus gegrüßt. „Und dann kommt dieser vierundzwanzigste Dezember. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wir sitzen um den Weihnachtsbaum herum, da klingelt es, und ein paar Männer bringen mir die Nachricht.“ Die schneeweiße Limousine fuhr jetzt aus der Stadt hinaus, und immer weniger Menschen standen an der Straße.
„In Tanimpang war von einem Tag zum anderen die Revolution zusammengebrochen“, erzählte Prinz Namburi weiter und lehnte sich jetzt in den Sitz zurück. „Königstreue Minister waren dabei, die Macht wieder in die Hand zu bekommen. Aber ihr König sitzt in Hamburg und lernt, wie man ,O Tannenbaum, o Tannenbaum’ singt.“
„Den Rest kann ich mir beinahe denken“, sagte Peter Schimmelpfennig.
„Natürlich ging es jetzt darum, daß ich möglichst schnell nach Tanimpang zurückkam. Aber wo sollte ich so schnell das Geld für den Flug auftreiben? Dazu kam, daß alles noch geheim war. Ich hatte mich schon die ganzen Jahre hinter dem Namen Sang Ping versteckt. Unter diesem Namen mußte ich versuchen, auch auf unsere Insel zu kommen. Mit den Revolutionären wurde noch gekämpft, und ich durfte nicht in ihre Hände fallen.“ Der junge Mann in seiner schneeweißen Uniform lächelte. „Das Geld aus dem Eisschrank hat übrigens deine Mutter inzwischen zurückbekommen.“
„Man könnte also beinahe sagen“ — Peter Schimmelpfennig grinste in seiner Ecke — , „daß meine Mutter mit ihrem Ersparten im Tiefkühlfach ein Königreich gerettet hat.“
„Ja, das könnte man beinahe sagen“, lächelte Prinz Namburi.
„Eine geradezu unheimliche Geschichte“, bemerkte Peter Schimmelpfennig und brütete eine Weile vor sich hin. Dann sagte er plötzlich: „Aber ich brauche ein Foto, Majestät. Ein Foto von uns beiden. Sonst glaubt mir diese Geschichte nicht einmal Dr. Liesegang.“
„Dazu ist es aber dann höchste Eisenbahn“, sagte der junge König von Tanimpang und ließ seine schneeweiße Limousine anhalten. „Am Flugplatz wird es nämlich feierlich, und da mußt du dich sowieso verdrücken.“
Die Polizisten kamen auf ihren Motorrädern angedonnert und guckten ein wenig verwundert unter ihren weißen Helmen hervor. Der kleine Gefängniswagen bremste, daß es nur so staubte. Peter Schimmelpfennig sprang ins Freie und winkte Herrn Mayer zu sich. Inzwischen war auch Prinz Namburi aus der Limousine gestiegen. Er stellte sich zusammen mit dem „blinden Passagier“ neben den rechten Kotflügel seiner Limousine. Auf diesem Kotflügel befand sich nämlich die grüne Standarte von Tanimpang mit dem gelben Kreis in der Mitte und dem Löwenkopf. Herr Mayer knipste und machte zur Sicherheit noch eine zweite Aufnahme. Dabei sagte er leise zu Peter Schimmelpfennig: „Entschuldige, aber ich muß an den Orden erinnern.“
„Ist noch irgend etwas?“ fragte die Königliche Hoheit in ihrer schneeweißen Uniform. „Langsam geht es um Minuten.“
„Allerdings“, stotterte Peter Schimmelpfennig und bekam einen roten Kopf. „Der Beamte aus dem Gefängnis“, erklärte er. „Ohne ihn würden wir bestimmt noch in unserer Zelle sitzen. Nur weil er mir geglaubt und überall herumtelefoniert hat, stehen wir jetzt nebeneinander. Eigentlich haben wir also diesem Herrn alles zu verdanken.“ Peter Schimmelpfennig holte tief Luft und nahm zu dem, was er jetzt noch zu sagen hatte, einen regelrechten Anlauf: „Dafür haben wir ihm einen Orden versprochen. Wenn Majestät noch einen übrig hätten?“ Der Prinz von Tanimpang biß sich auf die Unterlippe, weil er sonst schallend losgelacht hätte. Er winkte seinen Hofbeamten zu sich und sprach mit ihm. „Ein Glück, daß Könige immer Orden bei sich haben, so wie andere Leute Kleingeld“, bemerkte er, und zwei Minuten später kniete der Dicke mit den
Austernaugen mitten auf der Straße und berührte mit seiner Stirn die frisch geputzten Schuhe des jungen Mannes in der schneeweißen Uniform. Als er sich wieder aufrichtete, baumelte ein grüner Orden an seiner Brust. Er taumelte wie jemand, der einen über den Durst getrunken hat, zu seinem kleinen Gefängniswagen zurück. So glücklich war er.
Inzwischen rollte die Linjousine bereits wieder über die Straße, und die Polizisten mit ihren weißen Hemden
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