Der blinde Passagier
fehlt.“
Aber auch der Dicke mit seinen Austernaugen war plötzlich nicht mehr ganz so müde und ganz so traurig. Er spazierte durch das Büro, und Herr Mayer redete auf ihn ein. Zwischendurch brüllten sie sich sogar an, und dann beruhigten sie sich wieder. Schließlich stöhnte der Dicke tief auf und ließ sich hinter seinem Schreibtisch in einen Sessel fallen. Dann nahm er den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
„Hat er endlich begriffen, daß dieser Prinz vielleicht gar kein Prinz ist und geklaut hat?“ fragte Peter Schimmelpfennig.
„Du bist auf dem völlig falschen Dampfer, mein Junge“, antwortete Herr Mayer. „Ich habe ihm ganz im Gegenteil gesagt, daß du mit Seiner Majestät persönlich bekannt bist, sogar sehr gut bekannt bist, was ja die Fotos beweisen. Und unser dicker Freund hätte jetzt zwei Möglichkeiten: entweder er fliegt aus seiner Stellung, oder er bekommt einen Orden.“ Herr Mayer zog an seiner Zigarette. „Vor solch einer Entscheidung verlieren die meisten Menschen ihre Nerven.“
Der Dicke in seiner Khakiuniform führte inzwischen bereits das dritte Telefongespräch. Er hatte schon Schweißperlen auf der Stirn und wählte gerade die nächste Nummer.
„Mit wem telefoniert er?“ fragte Peter Schimmelpfennig.
„Er versucht, irgend jemand aus der Umgebung dieses Prinzen an den Apparat zu bekommen“, erklärte Herr Mayer. „Das wäre der Fall zwei mit dem Orden.“
Der junge Thaipolizist hatte inzwischen die Beine ausgestreckt und verfolgte das Ganze wie ein äußerst interessantes Fußballspiel.
Beim siebzehnten Telefongespräch sprang der Dicke in seiner Khakiuniform plötzlich aus dem Sessel und stand so aufrecht, als würde gerade die Nationalhymne gespielt. Nachdem er gesprochen hatte, wartete er eine ganze Weile. Dann sagte er wieder ein paar Worte, und es dauerte eine ganze Weile, bis er etwas antwortete. Dabei stand er jetzt, wenn das überhaupt möglich war, noch aufrechter, nahm Peter Schimmelpfennigs Paß vom Schreibtisch und las den Namen vor. Das fiel ihm nicht ganz leicht, aber mit etwas gutem Willen konnte man verstehen, was er meinte.
„Peter Schimmelpfennig“, wiederholte der Dicke mit den Austernaugen noch einmal. Dann legte er den Hörer neben den Apparat und sagte ein paar Worte zu Herrn Mayer.
„Seine Majestät will dich sprechen“, übersetzte der Korrespondent des Abendblattes. Und etwas leiser fügte er hinzu: „Ich schlage vor, ausgesucht höflich zu sein.“
Schon fünf Minuten später sauste der kleine Gefängniswagen mit Sirene und Blaulicht durch die Stadt. Peter Schimmelpfennig saß zusammen mit Herrn Mayer wieder auf den Holzbänken in dem dunklen Kasten für Gefangene. Die Sachen von der Gepäckaufbewahrung lagen neben ihnen. Den Käfig mit Neco hatte Peter auf seinen Knien.
„Wie spät ist es jetzt?“ fragte Peter Schimmelpfennig.
„Viertel nach eins“, bemerkte Herr Mayer und hielt sich an der Holzbank fest. „Es sieht so aus, als wären wir gleich da.“
Die Sirene war plötzlich nicht mehr zu hören, und die Fahrt wurde langsamer. Schließlich rollte der Wagen nur noch im Schritt, und es hörte sich an, als ob man über Kies oder Sand fahre. Dann wurde angehalten, und man hörte Stimmen.
„Vermutlich eine Kontrolle“, kombinierte Herr Mayer.
Der Wagen fuhr wieder an und ging langsam in eine Kurve. Als er jetzt zum zweiten Mal anhielt, waren Schritte und wieder Stimmen zu hören. Dann wurden die beiden schmalen Türen auseinandergeklappt.
Zuerst hatte Peter Schimmelpfennig das Gefühl, als blickte er mitten in einen Scheinwerfer hinein. Die Luft flimmerte vor Hitze, und die Sonne brannte wie Feuer. Und dann entdeckte er Türme aus Gold und Tempel mit glänzenden blauen und roten Dächern.
Der Dicke mit seinen Austernaugen faltete die Hände vor der Brust und verbeugte sich vor zwei schlanken Thais, die über eine weite weiße Treppe gekommen waren. Sie trugen schwarze seidene Gewänder und verbeugten sich jetzt ihrerseits vor Peter Schimmelpfennig und Herrn Mayer. Dann führten sie die beiden durch eine hohe Halle aus Marmor in einen Saal. Gleich nachdem sie die Tür leise hinter sich geschlossen hatten, fielen die zwei schwarzseidenen Thais auf den Boden und falteten ihre Hände vor der Stirn. Peter Schimmelpfennig und Herr Mayer blieben stehen und blickten in die gleiche Richtung. Sie hatten natürlich den jungen Mann in seiner schneeweißen Uniform schon erkannt, als sie eingetreten waren.
Herr Sang Ping, der
Weitere Kostenlose Bücher