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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Putzen und Flicken“. Darunter ein Name: Victor Kaminski.
    „Und da steht also ab März nicht mehr Victor Kaminski“, stellte Peter fest. „Da heißt es dann schlicht und einfach: Auguste Schimmelpfennig.“
    „Wenn nichts dazwischenkommt“, meinte die künftige
    Ladenbesitzerin und drückte den Arm ihres Jungen ein wenig fester an sich.
    „Meine Nase juckt“, sagte Peter, „und wenn meine Nase juckt, ist das ein todsicheres Zeichen, daß nichts schiefgeht.“
    „Dann ist ja alles in Ordnung.“ Frau Schimmelpfennig besah sich das ganze Anwesen noch einmal von oben nach unten und von links nach rechts. Und zuletzt sagte sie: „So, jetzt verfrachten wir uns nach Hause, junger Mann.“
    Sie gingen weiter.
    Aber Frau Schimmelpfennig war mit ihren Gedanken natürlich immer noch bei dem Laden in der Steinstraße. „Die Lage ist prima. Rundherum lauter Geschäfte, die jedermann braucht: eine Bäckerei, der Fleischer und die Milchhandlung. Nicht zu vergessen die Tankstelle. Wer bügelt, ist auf Junggesellen angewiesen. Und Junggesellen haben Autos, weil sie das Geld nicht für ihre Frauen und Kinder ausgeben müssen.“
    Die beiden bogen jetzt in die Hartungstraße ein.
    „Und gebügelt muß werden, was aus der Wäsche kommt. Zu jeder Jahreszeit. Und auch geflickt muß immer werden. Viele Frauen arbeiten heutzutage im Büro und haben keine Zeit. Und dann die Junggesellen, wie gesagt.“
    „Herr Chang hat heute auch schon zugemacht“, stellte Peter fest. Sie kamen gerade am „Hongkong“ vorbei, dessen rote Fensterläden und Türen geschlossen waren.
    Frau Schimmelpfennig war jetzt nur mit ihren eigenen Überlegungen beschäftigt. „Einhundertvierzig Mark Miete im Monat, das müßte gehen. Aber die dreitausend, die der alte Kaminski als Abfindung verlangt, die haben sich gewaschen.“ Frau Schimmelpfennig wiegte im Gehen den Kopf hin und her.
    „Aber wenn sein Geschäft wirklich gut geht, wie du ja sagst“, warf Peter ein, „dann läßt er sich das natürlich auch bezahlen.“
    „Er soll ja sein Geld haben“, meinte Frau Schimmelpfennig. „Nur leicht fällt es mir eben nicht. Schließlich muß ich mir jede Mark aus den Sitzen und dem Fußbodenbelag von Flugzeugen zusammensaugen.“
    Es waren keine dreißig Meter mehr bis zur Steinfeldstraße 84, da blieb Frau Schimmelpfennig plötzlich unter einer Straßenlaterne stehen.
    „Wenn meine Rechnung stimmt, sind wir mit dem, was ich heute an Überstundengeld in der Tasche mit nach Hause bringe, ganz dicht an die zweitausend.” Frau Schimmelpfennig bekam, ob sie wollte oder nicht, nasse Augen. „Was sagst du jetzt?”
    Was sollte Peter dazu sagen? Er gab seiner Mutter einfach mitten auf der Straße einen Kuß aufs linke Auge, und in diesem Augenblick hatten die beiden Schimmelpfennigs das Gefühl, als wären jetzt schon die Christbaumkerzen angezündet und die Schallplatte mit den Weihnachtsliedern aufgelegt.
    Aber soweit war es erst zwei Stunden später. Vorerst hatte Frau Schimmelpfennig noch eine ganze Menge in der Küche zu tun. Die Großmutter wollte ihr dabei behilflich sein, stand ihr aber nur überall im Wege.
    „Wenn ich dich heute nicht hätte“, sagte Frau Schimmelpfennig trotzdem immer wieder, „wüßte ich nicht, wie ich fertig werden sollte.“
    „Ist ja schon gut“, meinte die Großmutter mit ihrer hohen Stimme. „Aber du mußt dich deshalb nicht laufend bedanken.“
    Schließlich saß die ganze Familie im Wohnzimmer um den Tisch herum. Alle hatten sich umgezogen, weil der Abend ja ein wenig feierlich sein sollte.
    Rechts von Frau Schimmelpfennig saß die Großmutter, links neben ihr saß Peter, und ihr gegenüber saß der Untermieter Sang Ping. Er hatte sich tief vor Frau Schimmelpfennig verbeugt, als er in das Zimmer gekommen war, und dann gesagt: „Ich bedanke mich sehr für die Einladung.’ Daraufhin hatte er sich vor der Großmutter verbeugt und zuletzt vor Peter. Zum Schluß hatte er dann Frau Schimmelpfennig noch zwölf weiße Nelken überreicht.
    „Ein höflicher Mensch“, hatte die Großmutter festgestellt und freundlich gelächelt. „Und hübsch ist er noch dazu.“
    Die Nelken von Herrn Sang Ping standen jetzt in einer Vase auf dem Tisch zwischen der Schüssel mit dem Kartoffelsalat und einer Platte mit Schweinskoteletts. Am Heiligen Abend gab es bei Schimmelpfennigs immer Kartoffelsalat und Schweinskoteletts, dazu ein Glas Weißwein. Das war schon Familientradition.
    „Sie haben Hände, so schmal wie ein Mädchen“,

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