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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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es eine kleine Weile ruhig.
    „Ich glaube . . “ sagte dann Mutter Schimmelpfennig in die Stille.
    „Ja, ich glaube auch“, stimmte die Großmutter zu.
    Frau Schimmelpfennig stand auf und strich ihr Kleid glatt. „Man spaltet jetzt unsichtbare Atome und fliegt zur Venus’ 1 , bemerkte sie, „aber bis jetzt hat noch niemand einen Stoff erfunden, der nicht knittert.“
    Eine halbe Stunde später lag die Großmutter im Bett, und Frau Schimmelpfennig drehte in ihrem Schlafzimmer das Licht aus. Dann machte sie das Fenster auf. Ohne frische Luft konnte sie nämlich nicht schlafen.
    Peter hatte den Damen im Badezimmer den Vortritt gelassen, weshalb er sich jetzt erst die Zähne putzte. Er schraubte gerade den Verschluß der Zahnpastatube wieder zu, da ging eine Tür, und er hörte Stimmen. Das mußte Herr Sang Ping mit seinen Besuchern sein.
    Peter war eigentlich nicht neugieriger, als es erlaubt ist. Aber weil die Stimmen immer lauter wurden, ging er doch so leise wie möglich die zwei Schritte zur Badezimmertür, die nur angelehnt war. Es hörte sich dort draußen jetzt so an, als versuche Herr Sang Ping die beiden anderen, die offenbar ziemlich aufgeregt waren, zu beruhigen.
    Der Spalt zwischen dem Rahmen und der angelehnten Badezimmertür war nicht breiter als eine zusammengelegte Sonntagsausgabe des Abendblattes. Trotzdem konnte Peter Schimmelpfennig die Gruppe der drei Personen am Ende des Korridors deutlich sehen. Sie hatten sich offenbar nichts mehr zu sagen, und Suwanna schloß bereits die Wohnungstür auf.
    In diesem Augenblick passierte etwas sehr Sonderbares:
    Beinahe gleichzeitig falteten die beiden Besucher ihre Hände wie zum Gebet und fielen auf die Knie. Sie beugten den Rücken, richteten sich erneut auf und beugten sich wieder. Dabei hielten sie immer ihre gefalteten Hände vor die Stirn und redeten kaum hörbar in ihrer Sprache. Es hörte sich an, als würden sie um irgend etwas bitten. Peter Schimmelpfennig war so überrascht, daß er beinahe sein Zahnputzglas fallen ließ.
    Drüben am anderen Ende des Korridors war es Herrn Sang Ping inzwischen gelungen, die zwei Knienden zum Aufstehen zu bewegen. Dabei sagte er irgend etwas, das die anderen offenbar zufriedenstellte. Jedenfalls umarmte man sich gegenseitig, und kurz darauf verschwanden die drei im Treppenhaus.
    Es dauerte ziemlich lange, bis Suwanna allein zurückkam, die Wohnungstür abschloß und in sein Zimmer ging.
    Darauf hatte Peter gewartet. Er überzeugte sich noch, daß alle Wasserhähne richtig zugedreht waren, und löschte im Badezimmer das Licht.
    Kurz bevor Peter Schimmelpfennig einschlief, begegneten ihm noch einmal die zwei Besucher von Herrn Sang Ping. Sie knieten jetzt nicht mehr auf dem Korridorboden, sondern auf seiner Bettdecke, und wenn sie sich verbeugten, tropfte ihnen der geschmolzene Schnee von der Nase.

Wer sucht schon in einem Eisschrank
nach Geld?

    Es war ein Weihnachtsmorgen wie aus dem Bilderbuch.
    Der Wind hatte sich über Nacht gedreht. Es gab keine Wolke mehr am Himmel, und die Sonne schien. Allerdings war es jetzt klirrend kalt. In den Bäumen hing Rauhreif, und die Fenster waren mit Eisblumen zugedeckt.
    Als Frau Schimmelpfennig aufgestanden war, hatten die anderen noch geschlafen, obgleich es schon ziemlich spät war. Frau Schimmelpfennig hatte zuerst das Geschirr von gestern abend abgewaschen und wieder in den Küchenschrank zurückgestellt. Dann hatte sie im Wohnzimmer den Frühstückstisch gedeckt. Und jetzt, als das Kaffeewasser aufgesetzt war, ging sie zuerst in das Zimmer der Großmutter und dann in das ihres Sohnes. Sie sagte jedesmal: „Fröhliche Weihnachten!“ und zog die Gardinen auf.
    Peter blieb eingerollt unter seiner Bettdecke liegen und rührte sich nicht.
    „Einundzwanzig“, zählte Frau Schimmelpfennig wie jeden Morgen, „zweiundzwanzig, dreiundzwanzig.“
    Peter riß die Bettdecke zur Seite, warf die Beine in die Luft und flitzte auch schon ins Bad. Sein Gastspiel unter der Dusche fiel heute kürzer und nicht ganz so kalt wie sonst aus. Als er sich im Bademantel am Frühstückstisch einfand, war sein Haar noch naß und nur flüchtig mit der Bürste glattgestrichen. Aber auch die beiden Damen hatten mit ihrer Garderobe heute morgen keine großen Umstände gemacht.
    Das ganze Wohnzimmer roch nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Und zu diesem Kaffee, der vermutlich auch noch im Treppenhaus zu riechen war, gab es gekochte Eier, Butter, Leberwurst, selbstgemachte Marmelade und natürlich

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