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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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bemerkte die Großmutter einmal so zwischendurch. Sie hatte Herrn Sang Ping eine Weile beim Essen zugeschaut. „Aber Ihr linkes Ohr ist wohl einmal in die Waschmaschine gekommen?“
    „Das stammt von einem Löwen“, lachte Herr Sang Ping. „Allerdings von einem sehr kleinen.“ Sein linkes Ohrläppchen war wie mit einer Schere abgeschnitten.
    „So was fragt man doch nicht“, meinte Frau Schimmelpfennig. „Wenigstens nicht zu Weihnachten.“
    „Ich war ja nur neugierig“, kicherte die Großmutter und machte sich wieder über ihren Kartoffelsalat her.
    Zum Nachtisch wartete ein Vanillepudding mit Himbeersauce. Anschließend wanderte die ganze Tischgesellschaft in die Küche und wieder zurück, bis das Geschirr abgeräumt war. Nur die Weingläser blieben stehen.
    „Abgewaschen wird erst zu Ostern“, sagte Frau Schimmelpfennig, und dann versammelte man sich wieder im Wohnzimmer.
    Als Peter am Christbaum die ersten Kerzen angezündet hatte, drehte die Großmutter das elektrische Licht aus.
    „Bitte, nehmen Sie hier Platz, Herr Sang Ping.“ Frau Schimmelpfennig zeigte auf einen Sessel.
    Übrigens hatte das Wohnzimmer einen halbrunden Erker zur Straße hin. Ein graugrüner Vorhang, der von der Decke beinahe bis zum Fußboden reichte, war bis zu diesem Augenblick zugezogen gewesen. Hinter diesem Vorhang hatte Frau Schimmelpfennig nämlich den Gabentisch aufgebaut.
    Am Weihnachtsbaum brannten schon sämtliche Kerzen, die Großmutter setzte sich in eine Sofaecke, und Peter schaltete den Plattenspieler ein.
    Und jetzt war es soweit, daß Frau Schimmelpfennig den graugrünen Vorhang zurückzog, zuerst die eine Hälfte nach links und dann die andere Hälfte nach rechts.
    Im gleichen Augenblick drückte Peter beim Plattenspieler auf einen der Knöpfe, und die Großmutter sagte laut und deutlich: „Au fein!“, denn sie hatte auf dem Gabentisch einen nagelneuen Abfalleimer entdeckt.
    Die Schimmelpfennigs und ihre Großmutter kannten natürlich die Schallplatte, die alljährlich am Heiligen Abend gespielt wurde. Sie wußten, daß zuerst eine ganze Weile Glocken läuten würden. Erst danach kamen die bekanntesten Weihnachtslieder, die von Chören gesungen wurden.
    Alle setzten sich, hörten zu und warteten, bis das Glockengeläute vorbei war. Als dann ein Kinderchor mit „O du fröhliche“ einsetzte, sangen die Schimmelpfennigs kräftig mit. Sie schauten dabei in die kleinen Lichter über den Christbaumkerzen, zu den bunten Kugeln und dem Engelshaar.
    „Im nächsten Jahr können Sie auch mitsingen“, tröstete Frau Schimmelpfennig ihren Untermieter. Man war inzwischen bei „0 Tannenbaum, o Tannenbaum“ angekommen, und vor dem nächsten Lied gab es eine kleine Pause.
    Herr Sang Ping lächelte: „Ich würde die Lieder wirklich sehr gerne lernen.“
    „Jetzt kommt überhaupt erst das beste“, verkündete die Großmutter. Sie meinte natürlich „Stille Nacht, heilige Nacht“. Und da Suwanna Sang Ping von diesem Lied schon die Melodie kannte, weil es ja in der ganzen Welt gesungen wird, summte er wenigstens mit.
    Am Schluß der Schallplatte läuteten wieder die Glocken. Aber die Großmutter wartete erst gar nicht ab, bis sie zu Ende geläutet hatten. Sie nahm einen Schluck Wein aus ihrem Weinglas und sagte: „Na, dann wollen wir mal!“ Damit gab sie das Signal zum allgemeinen Spaziergang an den Gabentisch. „Lange genug hat’s gedauert“, bemerkte sie noch.
    In der Mitte des Tisches standen Teller mit Mandarinen, Nüssen und Weihnachtsgebäck. Die Geschenke waren an den Ecken des Tisches aufgestellt, und Frau Schimmelpfennig zeigte jetzt jedem seinen Platz.
    „Bitte, Herr Sang Ping.“
    Eine Zeitlang fiel kein Wort. Es wurde nur ausgepackt.
    Suwanna hatte von Peter eine dunkelblaue Seidenkrawatte bekommen und von Frau Schimmelpfennig ein großes Glas mit echtem Bienenhonig. Er verbeugte sich wieder, zuerst vor Peter und dann vor Frau Schimmelpfennig.
    „Auf Süßes ist er nämlich verrückt wie ein Haufen Ameisen“, erklärte man der Großmutter.
    Frau Schimmelpfennig hatte von Peter eine lederne Handtasche bekommen und von ihrer Mutter fünf Paar Strümpfe. Die Großmutter fand neben ihrem weißlackierten Abfalleimer noch Wildlederhandschuhe und eine Schachtel Pralinen.
    Alle verbeugten sich jetzt nach allen Richtungen und bedankten sich. Das Beispiel von Herr Sang Ping hatte ansteckend gewirkt. Auch die Großmutter verbeugte sich jetzt vor Frau Schimmelpfennig und Peter. Dabei sagte sie: „Danke

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